Kant: AA VII, Der Streit der ... , Seite 113 |
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01 | des Alters geworfen hat, wohl nicht anders als mit dem Leben zugleich | ||||||
02 | aufhören wird. | ||||||
03 | Die krankhafte Beschaffenheit des Patienten, die das Denken, in sofern | ||||||
04 | es ein Festhalten eines Begriffs (der Einheit des Bewußtseins verbundener | ||||||
05 | Vorstellungen) ist, begleitet und erschwert, bringt das Gefühl | ||||||
06 | eines spastischen Zustandes des Organs des Denkens (des Gehirns) als | ||||||
07 | eines Drucks hervor, der zwar das Denken und Nachdenken selbst, ingleichen | ||||||
08 | das Gedächtniß in Ansehung des ehedem Gedachten eigentlich nicht | ||||||
09 | schwächt, aber im Vortrage (dem mündlichen oder schriftlichen) das feste | ||||||
10 | Zusammenhalten der Vorstellungen in ihrer Zeitfolge wider Zerstreuung | ||||||
11 | sicheren soll, bewirkt selbst einen unwillkürlichen spastischen Zustand des | ||||||
12 | Gehirns, als ein Unvermögen, bei dem Wechsel der auf einander folgenden | ||||||
13 | Vorstellungen die Einheit des Bewußtseins derselben zu erhalten. | ||||||
14 | Daher begegnet es mir: daß, wenn ich, wie es in jeder Rede jederzeit geschieht, | ||||||
15 | zuerst zu dem, was ich sagen will, (den Hörer oder Leser) vorbereite, | ||||||
16 | ihm den Gegenstand, wohin ich gehen will, in der Aussicht, dann | ||||||
17 | ihn auch auf das, wovon ich ausgegangen bin, zurückgewiesen habe (ohne | ||||||
18 | welche zwei Hinweisungen kein Zusammenhang der Rede Statt findet) | ||||||
19 | und ich nun das letztere mit dem ersteren verknüpfen soll, ich auf einmal | ||||||
20 | meinen Zuhörer (oder stillschweigend mich selbst) fragen muß: Wo war | ||||||
21 | ich doch? Wovon ging ich aus? welcher Fehler nicht sowohl ein Fehler | ||||||
22 | des Geistes, auch nicht des Gedächtnisses allein, sondern der Geistesgegenwart | ||||||
23 | (im Verknüpfen), d.i. unwillkürliche Zerstreuung und ein | ||||||
24 | sehr peinigender Fehler ist, dem man zwar in Schriften (zumal den philosophischen: | ||||||
25 | weil man da nicht immer so leicht zurücksehen kann, von wo | ||||||
26 | man ausging) mühsam vorbeugen, obzwar mit aller Mühe nie völlig verhüten | ||||||
27 | kann. | ||||||
28 | Mit dem Mathematiker, der seine Begriffe oder die Stellvertreter | ||||||
29 | derselben (Größen= und Zahlenzeichen) in der Anschauung vor sich hinstellen, | ||||||
30 | und daß, so weit er gegangen ist, alles richtig sei, versichert sein | ||||||
31 | kann, ist es anders bewandt, als mit dem Arbeiter im Fache der vornehmlich | ||||||
32 | reinen Philosophie (Logik und Metaphysik), der seinen Gegenstand | ||||||
33 | in der Luft vor sich schwebend erhalten muß und ihn nicht bloß theilweise, | ||||||
34 | sondern jederzeit zugleich in einem Ganzen des Systems (d. r. V.) sich | ||||||
35 | darstellen und prüfen muß. Daher es eben nicht zu verwundern ist, wenn | ||||||
36 | ein Metaphysiker eher Invalid wird, als der Studirende in einem anderen | ||||||
37 | Fache, ingleichen als Geschäftsphilosophen; indessen daß es doch einige | ||||||
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