Kant: AA VII, Der Streit der ... , Seite 092

   
         
 

Zeile:

 

Text (Kant):

 

Verknüpfungen:

 

 

 
  01 im Worthalten u.s.w. theils aus Ehrliebe, theils aus wohlverstandenem    
  02 eigenen Vortheil im gemeinen Wesen entspringen und sich endlich    
  03 dies auch auf die Völker im äußeren Verhältniß gegen einander bis zur    
  04 weltbürgerlichen Gesellschaft erstrecken, ohne daß dabei die moralische    
  05 Grundlage im Menschengeschlechte im mindesten vergrößert werden darf;    
  06 als wozu auch eine Art von neuer Schöpfung (übernatürlicher Einfluß)    
  07 erforderlich sein würde. -Denn wir müssen uns von Menschen in ihren    
  08 Fortschritten zum Besseren auch nicht zu viel versprechen, um nicht in den    
  09 Spott des Politikers mit Grunde zu verfallen, der die Hoffnung des ersteren    
  10 gerne für Träumerei eines überspannten Kopfs halten möchte.*)    
         
  11
10.
   
  12
in welcher Ordnung allein kann der Fortschritt zum Besseren
   
  13
erwartet werden?
   
         
  14 Die Antwort ist: nicht durch den Gang der Dinge von unten hinauf,    
  15 sondern den von oben herab. -Zu erwarten, daß durch Bildung    
  16 der Jugend in häuslicher Unterweisung und weiterhin in Schulen, von    
  17 den niedrigen an bis zu den höchsten, in Geistes= und moralischer, durch    
  18 Religionslehre verstärkter Cultur es endlich dahin kommen werde, nicht    
  19 bloß gute Staatsbürger, sondern zum Guten, was immer weiter fortschreiten    
  20 und sich erhalten kann, zu erziehen, ist ein Plan, der den erwünschten    
  21 Erfolg schwerlich hoffen läßt. Denn nicht allein daß das Volk dafür hält,    
  22 daß die Kosten der Erziehung seiner Jugend nicht ihm, sondern dem    
         
    *) Es ist doch süß, sich Staatsverfassungen auszudenken, die den Forderungen der Vernunft (vornehmlich in rechtlicher Absicht) entsprechen: aber vermessen, sie vorzuschlagen, und strafbar, das Volk zur Abschaffung der jetzt bestehenden aufzuwiegeln. Platos Atlantica , Morus' Utopia , Harringtons Oceana und Allais' Severambia sind nach und nach auf die Bühne gebracht, aber nie (Cromwells verunglückte Mißgeburt einer despotischen Republik ausgenommen) auch nur versucht worden.- Es ist mit diesen Staatsschöpfungen wie mit der Weltschöpfung zugegangen: kein Mensch war dabei zugegen, noch konnte er bei einer solchen gegenwärtig sein, weil er sonst sein eigener Schöpfer hätte sein müssen. Ein Staatsproduct, wie man es hier denkt, als dereinst, so spät es auch sei, vollendet zu hoffen, ist ein süßer Traum; aber sich ihm immer zu näheren, nicht allein denkbar, sondern, so weit es mit dem moralischen Gesetze zusammen bestehen kann, Pflicht, nicht der Staatsbürger, sondern des Staatsoberhaupts.    
         
     

[ Seite 091 ] [ Seite 093 ] [ Inhaltsverzeichnis ]