Kant: AA VII, Der Streit der ... , Seite 045

   
         
 

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  01 Religion, obgleich es blos eine natürliche ist, weil es nicht in    
  02 Abrede ist, daß die Bibel nicht ein übernatürliches Mittel der Introduction    
  03 der letzteren und der Stiftung einer so öffentlich lehrenden und bekennenden    
  04 Kirche sein möge, sondern nur auf diesen Ursprung, wenn es    
  05 auf Religionslehre ankommt , nicht Rücksicht nimmt.    
         
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III

   
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Einwürfe und Beantwortung derselben, die Grundsätze der

   
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Schriftauslegung betreffend.

   
         
  09 Wider diese Auslegungsregeln höre ich ausrufen: erstlich: das sind    
  10 ja insgesammt Urtheile der philosophischen Facultät, welche sich also in    
  11 das Geschäft des biblischen Theologen Eingriffe erlaubt. - Antwort:    
  12 zum Kirchenglauben wird historische Gelehrsamkeit, zum Religionsglauben    
  13 blos Vernunft erfordert. Jenen als Vehikel des letzteren auszulegen    
  14 ist freilich eine Forderung der Vernunft, aber wo ist eine solche rechtmäßiger,    
  15 als wo etwas nur als Mittel zu etwas Anderem als Endzweck (dergleichen    
  16 die Religion ist) einen Werth hat, und giebt es überall wohl ein    
  17 höheres Princip der Entscheidung, wenn über Wahrheit gestritten wird,    
  18 als die Vernunft? Es thut auch der theologischen Facultät keinesweges    
  19 Abbruch, wenn die philosophische sich der Statuten derselben bedient, ihre    
  20 eigene Lehre durch Einstimmung mit derselben zu bestärken; man sollte    
  21 vielmehr denken, daß jener dadurch eine Ehre widerfahre. Soll aber    
  22 doch, was die Schriftauslegung betrifft, durchaus Streit zwischen beiden    
  23 sein, so weiß ich keinen andern Vergleich als diesen: wenn der biblische    
  24 Theolog aufhören wird sich der Vernunft zu seinem Behuf    
  25 zu bedienen, so wird der philosophische auch aufhören zu    
  26 Bestätigung seiner Sätze die Bibel zu gebrauchen. Ich zweifle    
  27 aber sehr, daß der erstere sich auf diesen Vertrag einlassen dürfte.    
  28 Zweitens: jene Auslegungen sind allegorisch=mystisch, mithin weder biblisch    
  29 noch philosophisch. Antwort: Es ist gerade das Gegentheil, nämlich    
  30 daß, wenn der biblische Theolog die Hülle der Religion für die Religion    
  31 selbst nimmt, er z. B. das ganze alte Testament für eine fortgehende    
  32 Allegorie (von Vorbildern und symbolischen Vorstellungen) des noch    
  33 kommenden Religionszustandes erklären muß, wenn er nicht annehmen    
  34 will, das wäre damals schon wahre Religion gewesen (die doch nicht noch    
  35 wahrer als wahr sein kann), wodurch dann das neue entbehrlich gemacht    
         
     

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