Kant: AA VI, Die Metaphysik der Sitten. ... , Seite 470 |
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01 | in der Liebe inbrünstiger ist, sie nicht eben dadurch in der Achtung des | ||||||
02 | anderen etwas einbüße, so daß beiderseitig Liebe und Hochschätzung subjectiv | ||||||
03 | schwerlich in das Ebenmaß des Gleichgewichts gebracht werden wird; | ||||||
04 | welches doch zur Freundschaft erforderlich ist? - Denn man kann jene | ||||||
05 | als Anziehung, diese als Abstoßung betrachten, und wenn das Princip der | ||||||
06 | ersteren Annäherung gebietet, das der zweiten sich einander in geziemendem | ||||||
07 | Abstande zu halten fordert, welche Einschränkung der Vertraulichkeit, | ||||||
08 | durch die Regel: daß auch die besten Freunde sich unter einander nicht | ||||||
09 | gemein machen sollen, ausgedrückt, eine Maxime enthält, die nicht blos | ||||||
10 | dem Höheren gegen den Niedrigen, sondern auch umgekehrt gilt. Denn | ||||||
11 | der Höhere fühlt, ehe man es sich versieht, seinen Stolz gekränkt und will | ||||||
12 | die Achtung des Niedrigen etwa für einen Augenblick aufgeschoben, nicht | ||||||
13 | aber aufgehoben wissen, welche aber, einmal verletzt, innerlich unwiederbringlich | ||||||
14 | verloren ist; wenn gleich die äußere Bezeichnung derselben (das | ||||||
15 | Ceremoniell) wieder in den alten Gang gebracht wird. | ||||||
16 | Freundschaft in ihrer Reinigkeit oder Vollständigkeit, als erreichbar | ||||||
17 | (zwischen Orestes und Pylades, Theseus und Pirithous) gedacht, ist das | ||||||
18 | Steckenpferd der Romanenschreiber; wogegen Aristoteles sagt: meine | ||||||
19 | lieben Freunde, es giebt keinen Freund! Folgende Anmerkungen können | ||||||
20 | auf die Schwierigkeiten derselben aufmerksam machen. | ||||||
21 | Moralisch erwogen, ist es freilich Pflicht, daß ein Freund dem anderen | ||||||
22 | seine Fehler bemerklich mache; denn das geschieht ja zu seinem Besten, | ||||||
23 | und es ist also Liebespflicht. Seine andere Hälfte aber sieht hierin einen | ||||||
24 | Mangel der Achtung, die er von jenem erwartete, und zwar daß er entweder | ||||||
25 | darin schon gefallen sei, oder, da er von dem Anderen beobachtet | ||||||
26 | und ingeheim kritisirt wird, beständig Gefahr läuft in den Verlust seiner | ||||||
27 | Achtung zu fallen; wie dann selbst, daß er beobachtet und gemeistert werden | ||||||
28 | solle, ihm schon für sich selbst beleidigend zu sein dünken wird. | ||||||
29 | Ein Freund in der Noth, wie erwünscht ist er nicht (wohl zu verstehen, | ||||||
30 | wenn er ein thätiger, mit eigenem Aufwande hülfreicher Freund | ||||||
31 | ist)! Aber es ist doch auch eine große Last, sich an Anderer ihrem Schicksal | ||||||
32 | angekettet und mit fremdem Bedürfniß beladen zu fühlen. - Die Freundschaft | ||||||
33 | kann also nicht eine auf wechselseitigen Vortheil abgezweckte Verbindung, | ||||||
34 | sondern diese muß rein moralisch sein, und der Beistand, auf | ||||||
35 | den jeder von beiden von dem Anderen im Falle der Noth rechnen darf, | ||||||
36 | muß nicht als Zweck und Bestimmungsgrund zu derselben - dadurch | ||||||
37 | würde er die Achtung des andern Theils verlieren, - sondern kann nur als | ||||||
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