Kant: AA VI, Die Metaphysik der Sitten. ... , Seite 401 |
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01 | vorwerfen, mithin auch selbst die Pflicht ein Gewissen zu haben sich | ||||||
02 | gar nicht denken können. | ||||||
03 | Die mancherlei Eintheilungen des Gewissens gehe ich noch hier vorbei | ||||||
04 | und bemerke nur, was aus dem eben Angeführten folgt: daß nämlich | ||||||
05 | ein irrendes Gewissen ein Unding sei. Denn in dem objectiven Urtheile, | ||||||
06 | ob etwas Pflicht sei oder nicht, kann man wohl bisweilen irren; aber im | ||||||
07 | subjectiven, ob ich es mit meiner praktischen (hier richtenden) Vernunft | ||||||
08 | zum Behuf jenes Urtheils verglichen habe, kann ich nicht irren, weil ich | ||||||
09 | alsdann praktisch gar nicht geurtheilt haben würde; in welchem Fall weder | ||||||
10 | Irrthum noch Wahrheit statt hat. Gewissenlosigkeit ist nicht Mangel | ||||||
11 | des Gewissens, sondern Hang sich an dessen Urtheil nicht zu kehren. Wenn | ||||||
12 | aber jemand sich bewußt ist nach Gewissen gehandelt zu haben, so kann | ||||||
13 | von ihm, was Schuld oder Unschuld betrifft, nichts mehr verlangt werden. | ||||||
14 | Es liegt ihm nur ob, seinen Verstand über das, was Pflicht ist oder | ||||||
15 | nicht, aufzuklären: wenn es aber zur That kommt oder gekommen ist, so | ||||||
16 | spricht das Gewissen unwillkürlich und unvermeidlich. Nach Gewissen zu | ||||||
17 | handeln kann also selbst nicht Pflicht sein, weil es sonst noch ein zweites | ||||||
18 | Gewissen geben müßte, um sich des Acts des ersteren bewußt zu werden. | ||||||
19 | Die Pflicht ist hier nur sein Gewissen zu cultiviren, die Aufmerksamkeit | ||||||
20 | auf die Stimme des inneren Richters zu schärfen und alle Mittel anzuwenden | ||||||
21 | (mithin nur indirecte Pflicht), um ihm Gehör zu verschaffen. | ||||||
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24 | Liebe ist eine Sache der Empfindung, nicht des Wollens, und ich | ||||||
25 | kann nicht lieben, weil ich will, noch weniger aber weil ich soll (zur Liebe | ||||||
26 | genöthigt werden); mithin ist eine Pflicht zu lieben ein Unding. | ||||||
27 | Wohlwollen ( amor benevolentiae ) aber kann als ein Thun einem | ||||||
28 | Pflichtgesetz unterworfen sein. Man nennt aber oftmals ein uneigennütziges | ||||||
29 | Wohlwollen gegen Menschen auch (obzwar sehr uneigentlich) Liebe; | ||||||
30 | ja, wo es nicht um des andern Glückseligkeit, sondern die gänzliche und | ||||||
31 | freie Ergebung aller seiner Zwecke in die Zwecke eines anderen (selbst eines | ||||||
32 | übermenschlichen) Wesens zu thun ist, spricht man von Liebe, die zugleich | ||||||
33 | für uns Pflicht sei. Aber alle Pflicht ist Nöthigung, ein Zwang, wenn | ||||||
34 | er auch ein Selbstzwang nach einem Gesetz sein sollte. Was man aber aus | ||||||
35 | Zwang thut, das geschieht nicht aus Liebe. | ||||||
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