Kant: AA VI, Die Metaphysik der Sitten. ... , Seite 388 |
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01 | vorigen Titel, nämlich dem der Vollkommenheit, gehöre. - Denn der, | ||||||
02 | welcher sich im bloßen Bewußtsein seiner Rechtschaffenheit glücklich fühlen | ||||||
03 | soll, besitzt schon diejenige Vollkommenheit, die im vorigen Titel für denjenigen | ||||||
04 | Zweck erklärt war, der zugleich Pflicht ist. | ||||||
05 | Wenn es also auf Glückseligkeit ankommt, worauf als meinen Zweck | ||||||
06 | hinzuwirken es Pflicht sein soll, so muß es die Glückseligkeit anderer Menschen | ||||||
07 | sein, deren (erlaubten) Zweck ich hiemit auch zu dem meinigen | ||||||
08 | mache. Was diese zu ihrer Glückseligkeit zählen mögen, bleibt ihnen selbst | ||||||
09 | zu beurtheilen überlassen; nur daß mir auch zusteht manches zu weigern, | ||||||
10 | was sie dazu rechnen, was ich aber nicht dafür halte, wenn sie sonst kein | ||||||
11 | Recht haben es als das Ihrige von mir zu fordern. Jenem Zweck aber | ||||||
12 | eine vorgebliche Verbindlichkeit entgegen zu setzen, meine eigene (physische) | ||||||
13 | Glückseligkeit auch besorgen zu müssen, und so diesen meinen natürlichen | ||||||
14 | und blos subjectiven Zweck zur Pflicht (objectiven Zweck) machen, | ||||||
15 | ist ein scheinbarer, mehrmals gebrauchter Einwurf gegen die obige Eintheilung | ||||||
16 | der Pflichten ( No. IV) und bedarf einer Zurechtweisung. | ||||||
17 | Widerwärtigkeiten, Schmerz und Mangel sind große Versuchungen | ||||||
18 | zu Übertretung seiner Pflicht. Wohlhabenheit, Stärke, Gesundheit und | ||||||
19 | Wohlfahrt überhaupt, die jenem Einflusse entgegen stehen, können also | ||||||
20 | auch, wie es scheint, als Zwecke angesehen werden, die zugleich Pflicht | ||||||
21 | sind; nämlich seine eigene Glückseligkeit zu befördern und sie nicht blos | ||||||
22 | auf Fremde zu richten. - Aber alsdann ist diese nicht der Zweck, sondern | ||||||
23 | die Sittlichkeit des Subjects ist es, von welchem die Hindernisse wegzuräumen, | ||||||
24 | es blos das erlaubte Mittel ist; da niemand anders ein Recht | ||||||
25 | hat von mir Aufopferung meiner nicht unmoralischen Zwecke zu fordern. | ||||||
26 | Wohlhabenheit für sich selbst zu suchen ist direct nicht Pflicht; aber indirect | ||||||
27 | kann es eine solche wohl sein: nämlich Armuth, als eine große Versuchung | ||||||
28 | zu Lastern, abzuwehren. Alsdann aber ist es nicht meine Glückseligkeit, | ||||||
29 | sondern meine Sittlichkeit, deren Integrität zu erhalten mein Zweck und | ||||||
30 | zugleich meine Pflicht ist. | ||||||
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34 | Der Pflichtbegriff steht unmittelbar in Beziehung auf ein Gesetz | ||||||
35 | (wenn ich gleich noch von allem Zweck als der Materie desselben abstrahire); | ||||||
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