Kant: AA VI, Die Metaphysik der Sitten. ... , Seite 348 |
|||||||
Zeile:
|
Text (Kant):
|
|
|
||||
01 | und Contribution aufzulegen, aber nicht das Volk zu plündern, d. i. einzelnen | ||||||
02 | Personen das Ihrige abzuzwingen (denn das wäre Raub: weil | ||||||
03 | nicht das überwundene Volk, sondern der Staat, unter dessen Herrschaft | ||||||
04 | es war, durch dasselbe Krieg führte): sondern durch Ausschreibungen | ||||||
05 | gegen ausgestellte Scheine, um bei nachfolgendem Frieden die dem Lande | ||||||
06 | oder der Provinz aufgelegte Last proportionirlich zu vertheilen. | ||||||
07 |
|
||||||
08 | Das Recht nach dem Kriege, d. i. im Zeitpunkte des Friedensvertrags | ||||||
09 | und in Hinsicht auf die Folgen desselben, besteht darin: der | ||||||
10 | Sieger macht die Bedingungen, über die mit dem Besiegten übereinzukommen | ||||||
11 | und zum Friedensschluß zu gelangen Tractaten gepflogen | ||||||
12 | werden, und zwar nicht gemäß irgend einem vorzuschützenden Recht, was | ||||||
13 | ihm wegen der vorgeblichen Läsion seines Gegners zustehe, sondern, indem | ||||||
14 | er diese Frage auf sich beruhen läßt, sich stützend auf seine Gewalt. | ||||||
15 | Daher kann der Überwinder nicht auf Erstattung der Kriegskosten antragen, | ||||||
16 | weil er den Krieg seines Gegners alsdann für ungerecht ausgeben | ||||||
17 | müßte: sondern ob er sich gleich dieses Argument denken mag, so darf er | ||||||
18 | es doch nicht anführen, weil er ihn sonst für einen Bestrafungskrieg erklären | ||||||
19 | und so wiederum eine Beleidigung ausüben würde. Hiezu gehört | ||||||
20 | auch die (auf keinen Loskauf zu stellende) Auswechselung der Gefangenen, | ||||||
21 | ohne auf Gleichheit der Zahl zu sehen. | ||||||
22 | Der überwundene Staat, oder dessen Unterthanen verlieren durch | ||||||
23 | die Eroberung des Landes nicht ihre staatsbürgerliche Freiheit, so daß | ||||||
24 | jener zur Colonie, diese zu Leibeigenen abgewürdigt würden; denn sonst | ||||||
25 | wäre es ein Strafkrieg gewesen, der an sich selbst widersprechend ist. | ||||||
26 | Eine Colonie oder Provinz ist ein Volk, das zwar seine eigene Verfassung, | ||||||
27 | Gesetzgebung, Boden hat, auf welchem die zu einem anderen | ||||||
28 | Staat Gehörige nur Fremdlinge sind, der dennoch über jenes die oberste | ||||||
29 | ausübende Gewalt hat. Der letztere heißt der Mutterstaat. Der | ||||||
30 | Tochterstaat wird von jenem beherrscht, aber doch von sich selbst (durch | ||||||
31 | sein eigenes Parlament, allenfalls unter dem Vorsitz eines Vicekönigs) | ||||||
32 | regiert ( civitas hybrida ). Dergleichen war Athen in Beziehung auf verschiedene | ||||||
33 | Inseln und ist jetzt Großbritannien in Ansehung Irlands. | ||||||
34 | Noch weniger kann Leibeigenschaft und ihre Rechtmäßigkeit von | ||||||
35 | der Überwältigung eines Volks durch Krieg abgeleitet werden, weil man | ||||||
[ Seite 347 ] [ Seite 349 ] [ Inhaltsverzeichnis ] |