Kant: AA VI, Die Metaphysik der Sitten. ... , Seite 341 |
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01 | führen wird. - Dies ist die einzige bleibende Staatsverfassung, wo das | ||||||
02 | Gesetz selbstherrschend ist und an keiner besonderen Person hängt; der | ||||||
03 | letzte Zweck alles öffentlichen Rechts, der Zustand, in welchem allein jedem | ||||||
04 | das Seine peremtorisch zugetheilt werden kann; indessen daß, so lange | ||||||
05 | jene Staatsformen dem Buchstaben nach eben so viel verschiedene mit der | ||||||
06 | obersten Gewalt bekleidete moralische Personen vorstellen sollen, nur ein | ||||||
07 | provisorisches inneres Recht und kein absolut=rechtlicher Zustand der | ||||||
08 | bürgerlichen Gesellschaft zugestanden werden kann. | ||||||
09 | Alle wahre Republik aber ist und kann nichts anders sein, als ein | ||||||
10 | repräsentatives System des Volks, um im Namen desselben, durch | ||||||
11 | alle Staatsbürger vereinigt, vermittelst ihrer Abgeordneten (deputirten) | ||||||
12 | ihre Rechte zu besorgen. Sobald aber ein Staatsoberhaupt der Person | ||||||
13 | nach (es mag sein König, Adelstand, oder die ganze Volkszahl, der demokratische | ||||||
14 | Verein) sich auch repräsentiren läßt, so repräsentirt das vereinigte | ||||||
15 | Volk nicht bloß den Souverän, sondern es ist dieser selbst; denn | ||||||
16 | in ihm (dem Volk) befindet sich ursprünglich die oberste Gewalt, von der | ||||||
17 | alle Rechte der Einzelnen, als bloßer Unterthanen (allenfalls als Staatsbeamten), | ||||||
18 | abgeleitet werden müssen, und die nunmehr errichtete Republik | ||||||
19 | hat nun nicht mehr nöthig, die Zügel der Regierung aus den Händen zu | ||||||
20 | lassen und sie denen wieder zu übergeben, die sie vorher geführt hatten, | ||||||
21 | und die nun alle neue Anordnungen durch absolute Willkür wieder vernichten | ||||||
22 | könnten. | ||||||
23 | Es war also ein großer Fehltritt der Urtheilskraft eines mächtigen | ||||||
24 | Beherrschers zu unserer Zeit, sich aus der Verlegenheit wegen | ||||||
25 | großer Staatsschulden dadurch helfen zu wollen, daß er es dem Volk | ||||||
26 | übertrug, diese Last nach dessen eigenem Gutbefinden selbst zu übernehmen | ||||||
27 | und zu vertheilen; da es denn natürlicherweise nicht allein | ||||||
28 | die gesetzgebende Gewalt in Ansehung der Besteurung der Unterthanen, | ||||||
29 | sondern auch in Ansehung der Regierung in die Hände bekam: | ||||||
30 | nämlich zu verhindern, daß diese nicht durch Verschwendung | ||||||
31 | oder Krieg neue Schulden machte, mithin die Herrschergewalt des | ||||||
32 | Monarchen gänzlich verschwand (nicht bloß suspendirt wurde) und | ||||||
33 | aufs Volk überging, dessen gesetzgebenden Willen nun das Mein und | ||||||
34 | Dein jedes Unterthans unterworfen wurde. Man kann auch nicht | ||||||
35 | sagen: daß dabei ein stillschweigendes, aber doch vertragsmäßiges | ||||||
36 | Versprechen der Nationalversammlung, sich nicht eben zur Souveränität | ||||||
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