Kant: AA VI, Die Metaphysik der Sitten. ... , Seite 246

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 Besitz (wenn ein solcher möglich ist) ist ein Besitz ohne Inhabung      
  02 ( detentio ).      
           
  03
§ 2.
     
           
  04
Rechtliches Postulat der praktischen Vernunft.
     
           
  05 Es ist möglich, einen jeden äußern Gegenstand meiner Willkür als      
  06 das Meine zu haben; d. i.: eine Maxime, nach welcher, wenn sie Gesetz      
  07 würde, ein Gegenstand der Willkür an sich (objectiv) herrenlos ( res      
  08 nullius ) werden müßte, ist rechtswidrig.      
           
  09 Denn ein Gegenstand meiner Willkür ist etwas, was zu gebrauchen      
  10 ich physisch in meiner Macht habe. Sollte es nun doch rechtlich schlechterdings      
  11 nicht in meiner Macht stehen, d. i. mit der Freiheit von jedermann      
  12 nach einem allgemeinen Gesetz nicht zusammen bestehen können      
  13 (unrecht sein), Gebrauch von demselben zu machen: so würde die Freiheit      
  14 sich selbst des Gebrauchs ihrer Willkür in Ansehung eines Gegenstandes      
  15 derselben berauben, dadurch daß sie brauchbare Gegenstände außer aller      
  16 Möglichkeit des Gebrauchs setzte, d. i. diese in praktischer Rücksicht vernichtete      
  17 und zur res nullius machte; obgleich die Willkür formaliter im      
  18 Gebrauch der Sachen mit jedermanns äußeren Freiheit nach allgemeinen      
  19 Gesetzen zusammenstimmte. - Da nun die reine praktische Vernunft keine      
  20 andere als formale Gesetze des Gebrauchs der Willkür zum Grunde legt      
  21 und also von der Materie der Willkür, d. i. der übrigen Beschaffenheit      
  22 des Objects, wenn es nur ein Gegenstand der Willkür ist, abstrahirt,      
  23 so kann sie in Ansehung eines solchen Gegenstandes kein absolutes      
  24 Verbot seines Gebrauchs enthalten, weil dieses ein Widerspruch der      
  25 äußeren Freiheit mit sich selbst sein würde. - Ein Gegenstand meiner      
  26 Willkür aber ist das, wovon beliebigen Gebrauch zu machen ich das      
  27 physische Vermögen habe, dessen Gebrauch in meiner Macht ( potentia )      
  28 steht: wovon noch unterschieden werden muß, denselben Gegenstand in      
  29 meiner Gewalt ( in potestatem meam redactum ) zu haben, welches nicht      
  30 bloß ein Vermögen, sondern auch einen Act der Willkür voraus setzt.      
  31 Um aber etwas bloß als Gegenstand meiner Willkür zu denken, ist hinreichend,      
  32 mir bewußt zu sein, daß ich ihn in meiner Macht habe. - Also      
  33 ist es eine Voraussetzung a priori der praktischen Vernunft einen jeden      
  34 Gegenstand meiner Willkür als objectiv mögliches Mein oder Dein anzusehen      
  35 und zu behandeln.      
           
           
     

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