Kant: AA VI, Die Metaphysik der Sitten. ... , Seite 208 |
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| 01 | worden sei.*) Ich überlasse es einem jeden, zu beurtheilen, ob die Worte: | ||||||
| 02 | intellectualis quaedam constructio , den Gedanken der Darstellung | ||||||
| 03 | eines gegebenen Begriffs in einer Anschauung a priori hätten | ||||||
| 04 | hervorbringen können, wodurch auf einmal die Philosophie von der Mathematik | ||||||
| 05 | ganz bestimmt geschieden wird. Ich bin gewiß: Hausen selbst | ||||||
| 06 | würde sich geweigert haben, diese Erklärung seines Ausdruckes anzuerkennen; | ||||||
| 07 | denn die Möglichkeit einer Anschauung a priori, und daß der | ||||||
| 08 | Raum eine solche und nicht ein bloß der empirischen Anschauung (Wahrnehmung) | ||||||
| 09 | gegebenes Nebeneinandersein des Mannigfaltigen außer einander | ||||||
| 10 | sei (wie Wolff ihn erklärt), würde ihn schon aus dem Grunde abgeschreckt | ||||||
| 11 | haben, weil er sich hiemit in weit hinaussehende philosophische | ||||||
| 12 | Untersuchungen verwickelt gefühlt hätte. Die gleichsam durch den Verstand | ||||||
| 13 | gemachte Darstellung bedeutete dem scharfsinnigen Mathematiker | ||||||
| 14 | nichts weiter, als die einem Begriffe correspondirende (empirische) Verzeichnung | ||||||
| 15 | einer Linie, bei der bloß auf die Regel Acht gegeben, von den | ||||||
| 16 | in der Ausführung unvermeidlichen Abweichungen aber abstrahirt wird; | ||||||
| 17 | wie man es in der Geometrie auch an der Construction der Gleichungen | ||||||
| 18 | wahrnehmen kann. | ||||||
| 19 | Von der allermindesten Bedeutung aber in Ansehung des Geistes | ||||||
| 20 | dieser Philosophie ist wohl der Unfug, den einige Nachäffer derselben mit | ||||||
| 21 | den Wörtern stiften, die in der Kritik d. r. V. selbst nicht wohl durch andere | ||||||
| 22 | gangbare zu ersetzen sind, sie auch außerhalb derselben zum öffentlichen | ||||||
| 23 | Gedankenverkehr zu brauchen, und welcher allerdings gezüchtigt zu | ||||||
| 24 | werden verdient, wie Hr. Nicolai thut, wiewohl er über die gänzliche Entbehrung | ||||||
| 25 | derselben in ihrem eigenthümlichen Felde, gleich als einer überall | ||||||
| 26 | bloß versteckten Armseligkeit an Gedanken, kein Urtheil zu haben sich selbst | ||||||
| 27 | bescheiden wird. - Indessen läßt sich über den unpopulären Pedanten | ||||||
| 28 | freilich viel lustiger lachen, als über den unkritischen Ignoranten | ||||||
| 29 | (denn in der That kann der Metaphysiker, welcher seinem Systeme steif | ||||||
| 30 | anhängt, ohne sich an alle Kritik zu kehren, zur letzteren Classe gezählt | ||||||
| 31 | werden, ob er zwar nur willkürlich ignorirt, was er nicht aufkommen | ||||||
| 32 | lassen will, weil es zu seiner älteren Schule nicht gehört). Wenn aber nach | ||||||
| *) Porro de actuali constructione hic non quaeritur, cum ne possint quidem sensibiles figurae ad rigorem definitionum effingi; sed requiritur cognitio eorum, quibus absolvitur formatio, quae intellectualis quaedam constructio est. C. A. Hausen, Elem. Mathes. Pars I. p. 86. A. 1734. | |||||||
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