Kant: AA VI, Die Religion innerhalb der ... , Seite 193 |
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| 01 | beigeordnet worden sind: weil sie jenen zum Schema zu dienen und so unsere | ||||||
| 02 | Aufmerksamkeit auf den wahren Dienst Gottes zu erwecken und zu | ||||||
| 03 | unterhalten von Alters her für gute sinnliche Mittel befunden sind. Sie | ||||||
| 04 | gründen sich insgesammt auf die Absicht, das Sittlich=Gute zu befördern: | ||||||
| 05 | 1) Es in uns selbst fest zu gründen und die Gesinnung desselben wiederholentlich | ||||||
| 06 | im Gemüth zu erwecken (das Privatgebet). 2) Die äußere | ||||||
| 07 | Ausbreitung desselben durch öffentliche Zusammenkunft an dazu gesetzlich | ||||||
| 08 | geweihten Tagen, um daselbst religiöse Lehren und Wünsche (und hiemit | ||||||
| 09 | dergleichen Gesinnungen) laut werden zu lassen und sie so durchgängig | ||||||
| 10 | mitzutheilen (das Kirchengehen). 3) Die Fortpflanzung desselben | ||||||
| 11 | auf die Nachkommenschaft durch Aufnahme der neueintretenden Glieder | ||||||
| 12 | in die Gemeinschaft des Glaubens, als Pflicht, sie darin auch zu belehren | ||||||
| 13 | (in der christlichen Religion die Taufe). 4) Die Erhaltung dieser | ||||||
| 14 | Gemeinschaft durch eine wiederholte öffentliche Förmlichkeit, welche die | ||||||
| 15 | Vereinigung dieser Glieder zu einem ethischen Körper und zwar nach dem | ||||||
| 16 | Princip der Gleichheit ihrer Rechte unter sich und des Antheils an allen | ||||||
| 17 | Früchten des Moralisch=Guten fortdaurend macht (die Communion). | ||||||
| 18 | Alles Beginnen in Religionssachen, wenn man es nicht blos moralisch | ||||||
| 19 | nimmt und doch für ein an sich Gott wohlgefällig machendes, mithin | ||||||
| 20 | durch ihn alle unsere Wünsche befriedigendes Mittel ergreift, ist ein | ||||||
| 21 | Fetischglaube, welcher eine Überredung ist: daß, was weder nach Natur | ||||||
| 22 | noch nach moralischen Vernunftgesetzen irgend etwas wirken kann, | ||||||
| 23 | doch dadurch allein schon das Gewünschte wirken werde, wenn man nur | ||||||
| 24 | festiglich glaubt, es werde dergleichen wirken, und dann mit diesem Glauben | ||||||
| 25 | gewisse Förmlichkeiten verbindet. Selbst, wo die Überzeugung, daß | ||||||
| 26 | alles hier auf das Sittlich=Gute, welches nur aus dem Thun entspringen | ||||||
| 27 | kann, ankomme, schon durchgedrungen ist, sucht sich der sinnliche Mensch | ||||||
| 28 | doch noch einen Schleichweg, jene beschwerliche Bedingung zu umgehen, | ||||||
| 29 | nämlich daß, wenn er nur die Weise (die Förmlichkeit) begeht, Gott das | ||||||
| 30 | wohl für die That selbst annehmen würde; welches denn freilich eine überschwengliche | ||||||
| 31 | Gnade desselben genannt werden müßte, wenn es nicht vielmehr | ||||||
| 32 | eine im faulen Vertrauen erträumte Gnade, oder wohl gar ein erheucheltes | ||||||
| 33 | Vertrauen selbst wäre. Und so hat sich der Mensch in allen | ||||||
| 34 | öffentlichen Glaubensarten gewisse Gebräuche als Gnadenmittel ausgedacht, | ||||||
| 35 | ob sie gleich sich nicht in allen, so wie in der christlichen auf praktische | ||||||
| 36 | Vernunftbegriffe und ihnen gemäße Gesinnungen beziehen (als z. B. | ||||||
| 37 | in der muhammedanischen von den fünf großen Geboten, das Waschen, | ||||||
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