Kant: AA VI, Die Religion innerhalb der ... , Seite 130 |
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| 01 | Verfassung betrifft, durch eine ununterbrochene Reihe von Schriftstellern | ||||||
| 02 | überliefert worden; auch war dieses Volk, wenn es sich gleich um den Religionsglauben | ||||||
| 03 | seiner nicht römischen Unterthanen wenig bekümmerte, doch | ||||||
| 04 | in Ansehung der unter ihnen öffentlich geschehen sein sollenden Wunder | ||||||
| 05 | keinesweges ungläubig; allein sie erwähnten als Zeitgenossen nichts, weder | ||||||
| 06 | von diesen, noch von der gleichwohl öffentlich vorgegangenen Revolution, | ||||||
| 07 | die sie in dem ihnen unterworfenen Volke (in Absicht auf die Religion) | ||||||
| 08 | hervorbrachten. Nur spät, nach mehr als einem Menschenalter, stellten sie | ||||||
| 09 | Nachforschung wegen der Beschaffenheit dieser ihnen bis dahin unbekannt | ||||||
| 10 | gebliebenen Glaubensveränderung (die nicht ohne öffentliche Bewegung | ||||||
| 11 | vorgegangen war), keine aber wegen der Geschichte ihres ersten Anfangs | ||||||
| 12 | an, um sie in ihren eigenen Annalen aufzusuchen. Von diesem an bis auf die | ||||||
| 13 | Zeit, da das Christenthum für sich selbst ein gelehrtes Publicum ausmachte, | ||||||
| 14 | ist daher die Geschichte desselben dunkel, und also bleibt uns unbekannt, welche | ||||||
| 15 | Wirkung die Lehre desselben auf die Moralität seiner Religionsgenossen | ||||||
| 16 | that, ob die ersten Christen wirklich moralisch=gebesserte Menschen, oder | ||||||
| 17 | aber Leute von gewöhnlichem Schlage gewesen. Seitdem aber das Christenthum | ||||||
| 18 | selbst ein gelehrtes Publicum wurde, oder doch in das allgemeine | ||||||
| 19 | eintrat, gereicht die Geschichte desselben, was die wohlthätige Wirkung betrifft, | ||||||
| 20 | die man von einer moralischen Religion mit Recht erwarten kann, | ||||||
| 21 | ihm keinesweges zur Empfehlung. - Wie mystische Schwärmereien im | ||||||
| 22 | Eremiten= und Mönchsleben und Hochpreisung der Heiligkeit des ehelosen | ||||||
| 23 | Standes eine große Menschenzahl für die Welt unnütz machten; wie damit | ||||||
| 24 | zusammenhängende vorgebliche Wunder das Volk unter einem blinden | ||||||
| 25 | Aberglauben mit schweren Fesseln drückten; wie mit einer sich freien Menschen | ||||||
| 26 | aufdringenden Hierarchie sich die schreckliche Stimme der Rechtgläubigkeit | ||||||
| 27 | aus dem Munde anmaßender, alleinig berufener Schriftausleger | ||||||
| 28 | erhob und die christliche Welt wegen Glaubensmeinungen (in die, wenn | ||||||
| 29 | man nicht die reine Vernunft zum Ausleger ausruft, schlechterdings keine | ||||||
| 30 | allgemeine Einstimmung zu bringen ist) in erbitterte Parteien trennte; | ||||||
| 31 | wie im Orient, wo der Staat sich auf eine lächerliche Art selbst mit Glaubensstatuten | ||||||
| 32 | der Priester und dem Pfaffenthum befaßte, anstatt sie in den | ||||||
| 33 | engen Schranken eines bloßen Lehrstandes (aus dem sie jederzeit in einen | ||||||
| 34 | regierenden überzugehen geneigt sind) zu halten, wie, sage ich, dieser Staat | ||||||
| 35 | endlich auswärtigen Feinden, die zuletzt seinem herrschenden Glauben ein | ||||||
| 36 | Ende machten, unvermeidlicher Weise zur Beute werden mußte; wie im | ||||||
| 37 | Occident, wo der Glaube seinen eigenen, von der weltlichen Macht unabhängigen | ||||||
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