Kant: AA VI, Die Religion innerhalb der ... , Seite 087

     
           
 

Zeile:

 

Text (Kant):

 

 

 

 
  01 neues aber belehrt wird, auch nie in der Welt davon belehrt zu werden      
  02 hoffen kann. Unter diesen sind aber die dämonischen Wunder die allerunverträglichsten      
  03 mit dem Gebrauche unsrer Vernunft. Denn in Ansehung      
  04 der theistischen würde sie doch wenigstens noch ein negatives      
  05 Merkmal für ihren Gebrauch haben können, nämlich daß, wenn etwas      
  06 als von Gott in einer unmittelbaren Erscheinung desselben geboten vorgestellt      
  07 wird, das doch geradezu der Moralität widerstreitet, bei allem Anschein      
  08 eines göttlichen Wunders es doch nicht ein solches sein könne (z. B.      
  09 wenn einem Vater befohlen würde, er solle seinen, so viel er weiß, ganz      
  10 unschuldigen Sohn tödten); bei einem angenommenen dämonischen Wunder      
  11 aber fällt auch dieses Merkmal weg; und wollte man dagegen für solche      
  12 das entgegengesetzte positive zum Gebrauch der Vernunft ergreifen: nämlich      
  13 daß, wenn dadurch eine Einladung zu einer guten Handlung geschieht,      
  14 die wir an sich schon als Pflicht erkennen, sie nicht von einem bösen Geiste      
  15 geschehen sei, so würde man doch auch alsdann falsch greifen können; denn      
  16 dieser verstellt sich, wie man sagt, oft in einen Engel des Lichts.      
           
  17 In Geschäften kann man also unmöglich auf Wunder rechnen, oder      
  18 sie bei seinem Vernunftgebrauch (und der ist in allen Fällen des Lebens      
  19 nöthig) irgend in Anschlag bringen. Der Richter (so wundergläubig er      
  20 auch in der Kirche sein mag) hört das Vorgeben des Delinquenten von      
  21 teuflischen Versuchungen, die er erlitten haben will, so an, als ob gar nichts      
  22 gesagt wäre: ungeachtet, wenn er diesen Fall als möglich betrachtete, es      
  23 doch immer einiger Rücksicht darauf wohl Werth wäre, daß ein einfältiger      
  24 gemeiner Mensch in die Schlingen eines abgefeimten Bösewichts gerathen      
  25 ist; allein er kann diesen nicht vorfordern, beide confrontiren, mit einem      
  26 Worte, schlechterdings nichts Vernünftiges daraus machen. Der vernünftige      
  27 Geistliche wird sich also wohl hüten, den Kopf der seiner Seelsorge      
  28 anbefohlnen mit Geschichtchen aus dem höllischen Proteus anzufüllen      
  29 und ihre Einbildungskraft zu verwildern. Was aber die Wunder von der      
  30 guten Art betrifft: so werden sie von Leuten in Geschäften bloß als Phrasen      
  31 gebraucht. So sagt der Arzt: dem Kranken ist, wenn nicht etwa ein Wunder      
  32 geschieht, nicht zu helfen, d. i. er stirbt gewiß. - Zu Geschäften gehört      
  33 nun auch das des Naturforschers, die Ursachen der Begebenheiten in dieser      
  34 ihren Naturgesetzen aufzusuchen; ich sage, in den Naturgesetzen dieser Begebenheiten,      
  35 die er also durch Erfahrung belegen kann, wenn er gleich auf      
  36 die Kenntniß dessen, was nach diesen Gesetzen wirkt, an sich selbst, oder      
  37 was sie in Beziehung auf einen andern möglichen Sinn für uns sein      
           
     

[ Seite 086 ] [ Seite 088 ] [ Inhaltsverzeichnis ]