Kant: AA VI, Die Religion innerhalb der ... , Seite 086 |
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01 | die alten Wunder waren nach und nach schon so bestimmt und durch die | ||||||
02 | Obrigkeit beschränkt, daß keine Verwirrung im gemeinen Wesen dadurch | ||||||
03 | angerichtet werden konnte, wegen neuer Wunderthäter aber mußten sie | ||||||
04 | allerdings der Wirkungen halber besorgt sein, die sie auf den öffentlichen | ||||||
05 | Ruhestand und die eingeführte Ordnung haben könnten. Wenn man aber | ||||||
06 | frägt: was unter dem Worte Wunder zu verstehen sei, so kann man (da | ||||||
07 | uns eigentlich nur daran gelegen ist, zu wissen, was sie für uns, d. i. zu | ||||||
08 | unserm praktischen Vernunftgebrauch, seien) sie dadurch erklären, daß sie | ||||||
09 | Begebenheiten in der Welt sind, von deren Ursache uns die Wirkungsgesetze | ||||||
10 | schlechterdings unbekannt sind und bleiben müssen. Da kann man | ||||||
11 | sich nun entweder theistische oder dämonische Wunder denken, die letzteren | ||||||
12 | aber in englische (agathodämomische) oder teuflische (kakodämonische) | ||||||
13 | Wunder eintheilen, von welchen aber die letzteren eigentlich nur in | ||||||
14 | Nachfrage kommen, weil die guten Engel (ich weiß nicht, warum) wenig | ||||||
15 | oder gar nichts von sich zu reden geben. | ||||||
16 | Was die theistischen Wunder betrifft: so können wir uns von den | ||||||
17 | Wirkungsgesetzen ihrer Ursache (als eines allmächtigen etc. und dabei moralischen | ||||||
18 | Wesens) allerdings ein Begriff machen, aber nur einen allgemeinen, | ||||||
19 | sofern wir ihn als Weltschöpfer und Regierer nach der Ordnung | ||||||
20 | der Natur sowohl, als der moralischen denken, weil wir von dieser | ||||||
21 | ihren Gesetzen unmittelbar und für sich Kenntniß bekommen können, deren | ||||||
22 | sich dann die Vernunft zu ihrem Gebrauche bedienen kann. Nehmen wir | ||||||
23 | aber an, daß Gott die Natur auch bisweilen und in besondern Fällen von | ||||||
24 | dieser ihren Gesetzen abweichen lasse: so haben wir nicht den mindesten | ||||||
25 | Begriff und können auch nie hoffen, einen von dem Gesetze zu bekommen, | ||||||
26 | nach welchem Gott alsdann bei Veranstaltung einer solchen Begebenheit | ||||||
27 | verfährt (außer dem allgemeinen moralischen, daß, was er thut, Alles | ||||||
28 | gut sein werde; wodurch aber in Ansehung dieses besondern Vorfalls nichts | ||||||
29 | bestimmt wird). Hier wird nun die Vernunft wie gelähmt, indem sie dadurch | ||||||
30 | in ihrem Geschäfte nach bekannten Gesetzen aufgehalten, durch kein | ||||||
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