Kant: AA VI, Die Religion innerhalb der ... , Seite 079 |
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01 | und körperliche Gegenstände keinen Genuß gewähren können, so sucht er | ||||||
02 | eine Herrschaft über die Gemüther dadurch zu erwerben, daß er die | ||||||
03 | Stammältern aller Menschen von ihrem Oberherrn abtrünnig und ihm anhängig | ||||||
04 | macht, da es ihm dann gelingt, sich so zum Obereigenthümer aller | ||||||
05 | Güter der Erde, d. i. zum Fürsten dieser Welt, aufzuwerfen. Nun könnte | ||||||
06 | man hierbei zwar es bedenklich finden: warum sich Gott gegen diesen Verräther | ||||||
07 | nicht seiner Gewalt bediente*) und das Reich, was er zu stiften zur | ||||||
08 | Absicht hatte, lieber in seinem Anfange vernichtete; aber die Beherrschung | ||||||
09 | und Regierung der höchsten Weisheit über vernünftige Wesen verfährt mit | ||||||
10 | ihnen nach dem Princip ihrer Freiheit, und was sie Gutes oder Böses | ||||||
11 | treffen soll, das sollen sie sich selbst zuzuschreiben haben. Hier war also | ||||||
12 | dem guten Princip zum trotz ein Reich des Bösen errichtet, welchem alle | ||||||
13 | von Adam (natürlicherweise) abstammende Menschen unterwürfig wurden | ||||||
14 | und zwar mit ihrer eignen Einwilligung, weil das Blendwerk der Güter | ||||||
15 | dieser Welt ihre Blicke von dem Abgrunde des Verderbens abzog, für das | ||||||
16 | sie aufgespart wurden. Zwar verwahrte sich das gute Princip wegen seines | ||||||
17 | Rechtsanspruchs an der Herrschaft über den Menschen durch die Errichtung | ||||||
18 | der Form einer Regierung, die bloß auf öffentliche alleinige Verehrung | ||||||
19 | seines Namens angeordnet war (in der jüdischen Theokratie); da aber | ||||||
20 | die Gemüther der Unterthanen in derselben für keine andere Triebfedern | ||||||
21 | als die Güter dieser Welt gestimmt blieben, und sie also auch nicht anders | ||||||
22 | als durch Belohnungen und Strafen in diesem Leben regiert sein wollten, | ||||||
23 | dafür aber auch keiner andern Gesetze fähig waren als solcher, welche theils | ||||||
24 | lästige Ceremonien und Gebräuche auferlegten, theils zwar sittliche, aber | ||||||
25 | nur solche, wobei ein äußerer Zwang statt fand, also nur bürgerliche waren, | ||||||
26 | wobei das Innere der moralischen Gesinnung gar nicht in Betrachtung | ||||||
27 | kam: so That diese Anordnung dem Reiche der Finsterniß keinen wesentlichen | ||||||
28 | Abbruch, sondern diente nur dazu, um das unauslöschliche Recht des | ||||||
29 | ersten Eigenthümers immer im Andenken zu erhalten. - Nun erschien in | ||||||
30 | eben demselben Volke zu einer Zeit, da es alle Übel einer hierarchischen | ||||||
31 | Verfassung in vollem Maße fühlte, und das sowohl dadurch, als vielleicht | ||||||
*) Der P. Charlevoix berichtet: daß, da er seinem irokesischen Katechismusschüler alles Böse vorerzählte, was der böse Geist in die zu Anfang gute Schöpfung hineingebracht habe, und wie er noch beständig die besten göttlichen Veranstaltungen zu vereiteln suche, dieser mit Unwillen gefragt habe: aber warum schlägt Gott den Teufel nicht todt? auf welche Frage er treuherzig gesteht, daß er in der Eil keine Antwort habe finden können. | |||||||
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