Kant: AA VI, Die Religion innerhalb der ... , Seite 048 |
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Text (Kant):
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| 01 | Entschließung umkehrt (und hiemit einen neuen Menschen anzieht): so ist | ||||||
| 02 | er so fern dem Princip und der Denkungsart nach ein fürs Gute empfängliches | ||||||
| 03 | Subject; aber nur in continuirlichem Wirken und Werden ein guter | ||||||
| 04 | Mensch: d. i. er kann hoffen, daß er bei einer solchen Reinigkeit des | ||||||
| 05 | Princips, welches er sich zur obersten Maxime seiner Willkür genommen | ||||||
| 06 | hat, und der Festigkeit desselben sich auf dem guten (obwohl schmalen) | ||||||
| 07 | Wege eines beständigen Fortschreitens vom Schlechten zum Bessern | ||||||
| 08 | befinde. Dies ist für denjenigen, der den intelligibelen Grund des Herzens | ||||||
| 09 | (aller Maximen der Willkür) durchschauet, für den also diese Unendlichkeit | ||||||
| 10 | des Fortschritts Einheit ist, d. i. für Gott, so viel, als wirklich ein | ||||||
| 11 | guter (ihm gefälliger) Mensch sein; und in sofern kann diese Veränderung | ||||||
| 12 | als Revolution betrachtet werden; für die Beurtheilung der Menschen | ||||||
| 13 | aber, die sich und die Stärke ihrer Maximen nur nach der Oberhand, die | ||||||
| 14 | sie über Sinnlichkeit in der Zeit gewinnen, schätzen können, ist sie nur | ||||||
| 15 | als ein immer fortdauerndes Streben zum Bessern, mithin als allmählige | ||||||
| 16 | Reform des Hanges zum Bösen als verkehrter Denkungsart anzusehen. | ||||||
| 17 | Hieraus folgt, daß die moralische Bildung des Menschen nicht von | ||||||
| 18 | der Besserung der Sitten, sondern von der Umwandlung der Denkungsart | ||||||
| 19 | und von Gründung eines Charakters anfangen müsse; ob man zwar gewöhnlicherweise | ||||||
| 20 | anders verfährt und wider Laster einzeln kämpft, die allgemeine | ||||||
| 21 | Wurzel derselben aber unberührt läßt. Nun ist selbst der eingeschränkteste | ||||||
| 22 | Mensch des Eindrucks einer desto größeren Achtung für eine | ||||||
| 23 | pflichtmäßige Handlung fähig, je mehr er ihr in Gedanken andere Triebfedern, | ||||||
| 24 | die durch die Selbstliebe auf die Maxime der Handlung Einfluß | ||||||
| 25 | haben könnten, entzieht; und selbst Kinder sind fähig, auch die kleinste Spur | ||||||
| 26 | von Beimischung unächter Triebfedern aufzufinden: da denn die Handlung | ||||||
| 27 | bei ihnen augenblicklich allen moralischen Werth verliert. Diese Anlage | ||||||
| 28 | zum Guten wird dadurch, daß man das Beispiel selbst von guten Menschen | ||||||
| 29 | (was die Gesetzmäßigkeit derselben betrifft) anführt und seine moralischen | ||||||
| 30 | Lehrlinge die Unlauterkeit mancher Maximen aus den wirklichen | ||||||
| 31 | Triebfedern ihrer Handlungen beurtheilen läßt, unvergleichlich cultivirt | ||||||
| 32 | und geht allmählig in die Denkungsart über: so daß Pflicht bloß für | ||||||
| 33 | sich selbst in ihren Herzen ein merkliches Gewicht zu bekommen anhebt. | ||||||
| 34 | Allein tugendhafte Handlungen, so viel Aufopferung sie auch gekostet haben | ||||||
| 35 | mögen, bewundern zu lehren, ist noch nicht die rechte Stimmung, | ||||||
| 36 | die das Gemüth des Lehrlings fürs moralisch Gute erhalten soll. Denn | ||||||
| 37 | so tugendhaft Jemand auch sei, so ist doch alles, was er immer Gutes | ||||||
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