Kant: AA VI, Die Religion innerhalb der ... , Seite 042 |
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01 | der Sünde (worunter die Übertretung des moralischen Gesetzes als göttlichen | ||||||
02 | Gebots verstanden wird); der Zustand des Menschen aber vor | ||||||
03 | allem Hange zum Bösen heißt der Stand der Unschuld. Das moralische | ||||||
04 | Gesetz ging, wie es auch beim Menschen als einem nicht reinen, sondern | ||||||
05 | von Neigungen versuchten Wesen sein muß, als Verbot voraus (1. Mose | ||||||
06 | II, 16. 17). Anstatt nun diesem Gesetze, als hinreichender Triebfeder (die | ||||||
07 | allein unbedingt gut ist, wobei auch weiter kein Bedenken statt findet), geradezu | ||||||
08 | zu folgen: sah sich der Mensch doch noch nach andern Triebfedern | ||||||
09 | um (III, 6), die nur bedingterweise (nämlich so fern dem Gesetze dadurch | ||||||
10 | nicht Eintrag geschieht) gut sein können, und machte es sich, wenn man | ||||||
11 | die Handlung als mit Bewußtsein aus Freiheit entspringend denkt, zur | ||||||
12 | Maxime, dem Gesetze der Pflicht nicht aus Pflicht, sondern auch allenfalls | ||||||
13 | aus Rücksicht auf andere Absichten zu folgen. Mithin fing er damit an, | ||||||
14 | die Strenge des Gebots, welches den Einfluß jeder andern Triebfeder | ||||||
15 | ausschließt, zu bezweifeln, hernach den Gehorsam gegen dasselbe zu einem | ||||||
16 | bloß (unter dem Princip der Selbstliebe) bedingten eines Mittels herab | ||||||
17 | zu vernünfteln,*) woraus dann endlich das Übergewicht der sinnlichen Antriebe | ||||||
18 | über die Triebfeder aus dem Gesetz, in die Maxime zu handeln, | ||||||
19 | aufgenommen und so gesündigt ward (III, 6). mutato nomine de te fabula | ||||||
20 | narratur . Daß wir es täglich eben so machen, mithin "in Adam | ||||||
21 | alle gesündigt haben" und noch sündigen, ist aus dem obigen klar; nur | ||||||
22 | daß bei uns schon ein angeborner Hang zur Übertretung, in dem ersten | ||||||
23 | Menschen aber kein solcher, sondern Unschuld der Zeit nach vorausgesetzt | ||||||
24 | wird, mithin die Übertretung bei diesem ein Sündenfall heißt: statt | ||||||
25 | daß sie bei uns als aus der schon angebornen Bösartigkeit unserer Natur | ||||||
26 | erfolgend vorgestellt wird. Dieser Hang aber bedeutet nichts weiter, als | ||||||
27 | daß, wenn wir uns auf die Erklärung des Bösen seinem Zeitanfange | ||||||
28 | nach einlassen wollen, wir bei jeder vorsetzlichen Übertretung die Ursachen | ||||||
29 | in einer vorigen Zeit unsers Lebens bis zurück in diejenige, wo der Vernunftgebrauch | ||||||
*) Alle bezeugte Ehrerbietung gegen das moralische Gesetz, ohne ihm doch, als für sich hinreichender Triebfeder, in seiner Maxime das Übergewicht über alle andere Bestimmungsgründe der Willkür einzuräumen, ist geheuchelt und der Hang dazu innere Falschheit, d. i. ein Hang, sich in der Deutung des moralischen Gesetzes zum Nachtheil desselben selbst zu belügen (III, 5); weswegen auch die Bibel (christlichen Antheils) den Urheber des Bösen (der in uns selbst liegt) den Lügner von Anfang nennt und so den Menschen in Ansehung dessen, was der Hauptgrund des Bösen in ihm zu sein scheint, charakterisirt. | |||||||
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