Kant: AA VI, Die Religion innerhalb der ... , Seite 035 |
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Text (Kant):
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01 | zu dem, was die moralische Gesinnung in ihrer Kraft beweisen kann, zur | ||||||
02 | Tugend, die Gelegenheit geben): so dürfen wir ihr Dasein nicht verantworten | ||||||
03 | (wir können es auch nicht, weil sie als anerschaffen uns nicht zu | ||||||
04 | Urhebern haben), wohl aber den Hang zum Bösen, der, indem er die Moralität | ||||||
05 | des Subjects betrifft, mithin in ihm als einem frei handelnden | ||||||
06 | Wesen angetroffen wird, als selbst verschuldet ihm muß zugerechnet werden | ||||||
07 | können: ungeachtet der tiefen Einwurzelung desselben in die Willkür, | ||||||
08 | wegen welcher man sagen muß, er sei in dem Menschen von Natur anzutreffen. | ||||||
09 | - Der Grund dieses Bösen kann auch 2) nicht in einer Verderbni | ||||||
10 | der moralisch=gesetzgebenden Vernunft gesetzt werden: gleich als | ||||||
11 | ob diese das Ansehen des Gesetzes selbst in sich vertilgen und die Verbindlichkeit | ||||||
12 | aus demselben ableugnen könne; denn das ist schlechterdings | ||||||
13 | unmöglich. Sich als ein frei handelndes Wesen und doch von dem einen | ||||||
14 | solchen angemessenen Gesetze (dem moralischen) entbunden denken, wäre | ||||||
15 | so viel, als eine ohne alle Gesetze wirkende Ursache denken (denn die Bestimmung | ||||||
16 | nach Naturgesetzen fällt der Freiheit halber Weg): welches sich | ||||||
17 | widerspricht. - Um also einen Grund des Moralisch=Bösen im Menschen | ||||||
18 | anzugeben, enthält die Sinnlichkeit zu wenig; denn sie macht den | ||||||
19 | Menschen, indem sie die Triebfedern, die aus der Freiheit entspringen | ||||||
20 | können, wegnimmt, zu einem blos thierischen; eine vom moralischen | ||||||
21 | Gesetze aber freisprechende, gleichsam boshafte Vernunft (ein schlechthin | ||||||
22 | böser Wille) enthält dagegen zu viel, weil dadurch der Widerstreit | ||||||
23 | gegen das Gesetz selbst zur Triebfeder (denn ohne alle Triebfeder kann die | ||||||
24 | Willkür nicht bestimmt werden) erhoben und so das Subject zu einem | ||||||
25 | teuflischen Wesen gemacht werden würde. - Keines von beiden aber ist | ||||||
26 | auf den Menschen anwendbar. | ||||||
27 | Wenn nun aber gleich das Dasein dieses Hanges zum Bösen in der | ||||||
28 | menschlichen Natur durch Erfahrungsbeweise des in der Zeit wirklichen | ||||||
29 | Widerstreits der menschlichen Willkür gegen das Gesetz dargethan werden | ||||||
30 | kann, so lehren uns diese doch nicht die eigentliche Beschaffenheit desselben | ||||||
31 | und den Grund dieses Widerstreits; sondern diese, weil sie eine Beziehung | ||||||
32 | der freien Willkür (also einer solchen, deren Begriff nicht empirisch ist) | ||||||
33 | auf das moralische Gesetz als Triebfeder (wovon der Begriff gleichfalls | ||||||
34 | rein intellectuell ist) betrifft, muß aus dem Begriffe des Bösen, sofern es | ||||||
35 | nach Gesetzen der Freiheit (der Verbindlichkeit und Zurechnungsfähigkeit) | ||||||
36 | möglich ist, a priori erkannt werden. Folgendes ist die Entwickelung des | ||||||
37 | Begriffs. | ||||||
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