Kant: AA VI, Die Religion innerhalb der ... , Seite 030

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 Herzens besteht darin: daß die Maxime dem Objecte nach (der beabsichtigten      
  02 Befolgung des Gesetzes) zwar gut und vielleicht auch zur Ausübung      
  03 kräftig genug, aber nicht rein moralisch ist, d. i. nicht, wie es sein      
  04 sollte, das Gesetz allein zur hinreichenden Triebfeder in sich aufgenommen      
  05 hat: sondern mehrentheils (vielleicht jederzeit) noch andere Triebfedern      
  06 außer derselben bedarf, um dadurch die Willkür zu dem, was Pflicht      
  07 fordert, zu bestimmen; mit andern Worten, daß pflichtmäßige Handlungen      
  08 nicht rein aus Pflicht gethan werden.      
           
  09 Drittens, die Bösartigkeit ( vitiositas, pravitas ), oder, wenn man      
  10 lieber will, die Verderbtheit ( corruptio ) des menschlichen Herzens ist      
  11 der Hang der Willkür zu Maximen, die Triebfeder aus dem moralischen      
  12 Gesetz andern (nicht moralischen) nachzusetzen. Sie kann auch die Verkehrtheit      
  13 ( perversitas ) des menschlichen Herzens heißen, weil sie die sittliche      
  14 Ordnung in Ansehung der Triebfedern einer freien Willkür umkehrt,      
  15 und obzwar damit noch immer gesetzlich gute (legale) Handlungen bestehen      
  16 können, so wird doch die Denkungsart dadurch in ihrer Wurzel      
  17 (was die moralische Gesinnung betrifft) verderbt und der Mensch darum      
  18 als böse bezeichnet.      
           
  19 Man wird bemerken: daß der Hang zum Bösen hier am Menschen,      
  20 auch dem besten, (den Handlungen nach) aufgestellt wird, welches auch      
  21 geschehen muß, wenn die Allgemeinheit des Hanges zum Bösen unter      
  22 Menschen, oder, welches hier dasselbe bedeutet, daß er mit der menschlichen      
  23 Natur verwebt sei, bewiesen werden soll.      
           
  24 Es ist aber zwischen einem Menschen von guten Sitten ( bene moratus )      
  25 und einem sittlich guten Menschen ( moraliter bonus ), was die      
  26 Übereinstimmung der Handlungen mit dem Gesetz betrifft, kein Unterschied      
  27 (wenigstens darf keiner sein); nur daß sie bei dem einen eben nicht      
  28 immer, vielleicht nie das Gesetz, bei dem andern aber es jederzeit zur      
  29 alleinigen und obersten Triebfeder haben. Man kann von dem Ersteren      
  30 sagen: er befolge das Gesetz dem Buchstaben nach (d. i. was die Handlung      
  31 angeht, die das Gesetz gebietet); vom Zweiten aber: er beobachte es      
  32 dem Geiste nach (der Geist des moralischen Gesetzes besteht darin, daß dieses      
  33 für sich allein zur Triebfeder hinreichend sei). Was nicht aus diesem      
  34 Glauben geschieht, das ist Sünde (der Denkungsart nach). Denn      
  35 wenn andre Triebfedern nöthig sind, die Willkür zu gesetzmäßigen      
  36 Handlungen zu bestimmen, als das Gesetz selbst (z. B. Ehrbegierde,      
  37 Selbstliebe überhaupt, ja gar gutherziger Instinct, dergleichen das Mitleiden      
           
     

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