Kant: AA VI, Die Religion innerhalb der ... , Seite 009 |
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| 01 | oder andere Wissenschaften, z. B. die alte Erdgeschichte, Einbrüche wagen | ||||||
| 02 | und, wie diejenigen Völker, die in sich selbst entweder nicht Vermögen, | ||||||
| 03 | oder auch nicht Ernst genug finden, sich gegen besorgliche Angriffe zu vertheidigen, | ||||||
| 04 | alles um sich her in Wüstenei verwandeln, alle Versuche des | ||||||
| 05 | menschlichen Verstandes in Beschlag nehmen dürfte. | ||||||
| 06 | Es steht aber der biblischen Theologie im Felde der Wissenschaften | ||||||
| 07 | eine philosophische Theologie gegenüber, die das anvertraute Gut einer | ||||||
| 08 | andern Facultät ist. Diese, wenn sie nur innerhalb der Grenzen der bloßen | ||||||
| 09 | Vernunft bleibt und zur Bestätigung und Erläuterung ihrer Sätze die | ||||||
| 10 | Geschichte, Sprachen, Bücher aller Völker, selbst die Bibel benutzt, aber | ||||||
| 11 | nur für sich, ohne diese Sätze in die biblische Theologie hineinzutragen | ||||||
| 12 | und dieser ihre öffentlichen Lehren, dafür der Geistliche privilegirt ist, abändern | ||||||
| 13 | zu wollen, muß volle Freiheit haben, sich, so weit als ihre Wissenschaft | ||||||
| 14 | reicht, auszubreiten; und obgleich, wenn ausgemacht ist, daß der | ||||||
| 15 | erste wirklich seine Grenze überschritten und in die biblische Theologie | ||||||
| 16 | Eingriffe gethan habe, dem Theologen (bloß als Geistlichen betrachtet) | ||||||
| 17 | das Recht der Censur nicht bestritten werden kann, so kann doch, sobald | ||||||
| 18 | jenes noch bezweifelt wird, und also die Frage eintritt, ob jenes durch eine | ||||||
| 19 | Schrift oder einen andern öffentlichen Vortrag des Philosophen geschehen | ||||||
| 20 | sei, nur dem biblischen Theologen, als Gliede seiner Facultät, die | ||||||
| 21 | Obercensur zustehen, weil dieser auch das zweite Interesse des gemeinen | ||||||
| 22 | Wesens, nämlich den Flor der Wissenschaften, zu besorgen angewiesen und | ||||||
| 23 | eben so gültig als der erstere angestellt worden ist. | ||||||
| 24 | Und zwar steht in solchem Falle dieser Facultät, nicht der philosophischen | ||||||
| 25 | die erste Censur zu: weil jene allein für gewisse Lehren privilegirt | ||||||
| 26 | ist, diese aber mit den ihrigen ein offnes, freies Verkehr treibt, daher nur | ||||||
| 27 | jene darüber Beschwerde führen kann, daß ihrem ausschließlichen Rechte | ||||||
| 28 | Abbruch geschehe. Ein Zweifel wegen des Eingriffs aber ist ungeachtet | ||||||
| 29 | der Annäherung beider sämmtlicher Lehren zu einander und der Besorgni | ||||||
| 30 | des Überschreitens der Grenzen von Seiten der philosophischen Theologie | ||||||
| 31 | leicht zu verhüten, wenn man nur erwägt, daß dieser Unfug nicht | ||||||
| 32 | dadurch geschieht, daß der Philosoph von der biblischen Theologie etwas | ||||||
| 33 | entlehnt, um es zu seiner Absicht zu brauchen (denn die letztere wird | ||||||
| 34 | selbst nicht in Abrede sein wollen, daß sie nicht vieles, was ihr mit den | ||||||
| 35 | Lehren der bloßen Vernunft gemein ist, überdem auch manches zur Geschichtskunde | ||||||
| 36 | oder Sprachgelehrsamkeit und für deren Censur Gehöriges | ||||||
| 37 | enthalte); gesetzt auch, er brauche das, was er aus ihr borgt, in einer der | ||||||
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