Kant: AA V, Kritik der Urtheilskraft ... , Seite 436

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 ihn also allein fähig macht ein Endzweck zu sein, dem die ganze Natur      
  02 teleologisch untergeordnet ist*).      
           
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§ 85.

     
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Von der Physikotheologie.

     
           
  05 Die Physikotheologie ist der Versuch der Vernunft, aus den      
  06 Zwecken der Natur (die nur empirisch erkannt werden können) auf die      
  07 oberste Ursache der Natur und ihre Eigenschaften zu schließen. Eine      
  08 Moraltheologie (Ethikotheologie) wäre der Versuch, aus dem moralischen      
  09 Zwecke vernünftiger Wesen in der Natur (der a priori erkannt werden      
  10 kann) auf jene Ursache und ihre Eigenschaften zu schließen.      
           
  11 Die erstere geht natürlicher Weise vor der zweiten vorher. Denn      
  12 wenn wir von den Dingen in der Welt auf eine Weltursache teleologisch      
  13 schließen wollen: so müssen Zwecke der Natur zuerst gegeben sein, für die      
           
    *) Es wäre möglich, daß Glückseligkeit der vernünftigen Wesen in der Welt ein Zweck der Natur wäre, und alsdann wäre sie auch ihr letzter Zweck. Wenigstens kann man a priori nicht einsehen, warum die Natur nicht so eingerichtet sein sollte, weil durch ihren Mechanism diese Wirkung, wenigstens so viel wir einsehen, wohl möglich wäre. Aber Moralität und eine ihr untergeordnete Causalität nach Zwecken ist schlechterdings durch Naturursachen unmöglich; denn das Princip ihrer Bestimmung zum Handeln ist übersinnlich, ist also das einzige Mögliche in der Ordnung der Zwecke, was in Ansehung der Natur schlechthin unbedingt ist und ihr Subject dadurch zum Endzwecke der Schöpfung, dem die ganze Natur untergeordnet ist, allein qualificirt. Glückseligkeit dagegen ist, wie im vorigen § nach dem Zeugniß der Erfahrung gezeigt worden, nicht einmal ein Zweck der Natur in Ansehung der Menschen mit einem Vorzuge vor anderen Geschöpfen: weit gefehlt, daß sie ein Endzweck der Schöpfung sein sollte. Menschen mögen sie sich immer zu ihrem letzten subjectiven Zwecke machen. Wenn ich aber nach dem Endzwecke der Schöpfung frage: Wozu haben Menschen existiren müssen? So ist von einem objectiven obersten Zwecke die Rede, wie ihn die höchste Vernunft zu ihrer Schöpfung erfordern würde. Antwortet man nun darauf: damit Wesen existiren, denen jene oberste Ursache wohlthun könne, so widerspricht man der Bedingung, welcher die Vernunft des Menschen selbst seinen innigsten Wunsch der Glückseligkeit unterwirft (nämlich die Übereinstimmung mit seiner eigenen inneren moralischen Gesetzgebung). Dies beweiset: daß die Glückseligkeit nur bedingter Zweck, der Mensch also nur als moralisches Wesen Endzweck der Schöpfung sein könne; was aber seinen Zustand betrifft, Glückseligkeit nur als Folge nach Maßgabe der Übereinstimmung mit jenem Zwecke, als dem Zwecke seines Daseins, in Verbindung stehe.      
           
     

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