Kant: AA V, Kritik der Urtheilskraft ... , Seite 367 |
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01 | vermögend finden, daß wir die Idee der Wirkung der Causalität ihrer | ||||||
02 | Ursache, als die dieser selbst zum Grunde liegende Bedingung der | ||||||
03 | Möglichkeit der ersteren, unterlegen. Dieses kann aber auf zwiefache | ||||||
04 | Weise geschehen: entweder indem wir die Wirkung unmittelbar als Kunstproduct, | ||||||
05 | oder nur als Material für die Kunst anderer möglicher Naturwesen, | ||||||
06 | also entweder als Zweck, oder als Mittel zum zweckmäßigen Gebrauche | ||||||
07 | anderer Ursachen, ansehen. Die letztere Zweckmäßigkeit heißt die | ||||||
08 | Nutzbarkeit (für Menschen), oder auch Zuträglichkeit (für jedes andere | ||||||
09 | geschöpf) und ist bloß relativ, indeß die erstere eine innere Zweckmäßigkeit | ||||||
10 | des Naturwesens ist. | ||||||
11 | Die Flüsse führen z. B. allerlei zum Wachsthum der Pflanzen dienliche | ||||||
12 | Erde mit sich fort, die sie bisweilen mitten im Lande, oft auch an ihren | ||||||
13 | Mündungen absetzen. Die Fluth führt diesen Schlick an manchen Küsten | ||||||
14 | über das Land, oder setzt ihn an dessen Ufer ab; und wenn vornehmlich | ||||||
15 | Menschen dazu helfen, damit die Ebbe ihn nicht wieder wegführe, so | ||||||
16 | nimmt das fruchtbare Land zu, und das Gewächsreich gewinnt da Platz, | ||||||
17 | wo vorher Fische und Schalthiere ihren Aufenthalt gehabt hatten. Die | ||||||
18 | meisten Landeserweiterungen auf diese Art hat wohl die Natur selbst | ||||||
19 | verrichtet und fährt damit auch noch, obzwar langsam, fort. - Nun fragt | ||||||
20 | sich, ob dies als ein Zweck der Natur zu beurtheilen sei, weil es eine Nutzbarkeit | ||||||
21 | für Menschen enthält; denn die für das Gewächsreich selber kann | ||||||
22 | man nicht in Anschlag bringen, weil dagegen eben so viel den Meergeschöpfen | ||||||
23 | entzogen wird, als dem Lande Vortheil zuwächst. | ||||||
24 | Oder, um ein Beispiel von der Zuträglichkeit gewisser Naturdinge | ||||||
25 | als Mittel für andere Geschöpfe (wenn man sie als Zwecke voraussetzt) | ||||||
26 | zu geben: so ist kein Boden den Fichten gedeihlicher, als ein Sandboden. | ||||||
27 | Nun hat das alte Meer, ehe es sich vom Lande zurückzog, so viele Sandstriche | ||||||
28 | in unsern nordlichen Gegenden zurückgelassen, daß auf diesem für | ||||||
29 | alle Cultur sonst so unbrauchbaren Boden weitläuftige Fichtenwälder haben | ||||||
30 | aufschlagen können, wegen deren unvernünftiger Ausrottung wir häufig | ||||||
31 | unsere Vorfahren anklagen; und da kann man fragen, ob diese uralte | ||||||
32 | Absetzung der Sandschichten ein Zweck der Natur war zum Behuf der | ||||||
33 | darauf möglichen Fichtenwälder. So viel ist klar: daß, wenn man diese | ||||||
34 | als Zweck der Natur annimmt, man jenen Sand auch, aber nur als relativen | ||||||
35 | Zweck einräumen müsse, wozu wiederum der alte Meeresstrand und | ||||||
36 | dessen Zurückziehen das Mittel war; denn in der Reihe der einander subordinirten | ||||||
37 | Glieder einer Zweckverbindung muß ein jedes Mittelglied als | ||||||
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