Kant: AA V, Kritik der Urtheilskraft ... , Seite 363 |
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| 01 | Umkreis jede derselben begränzt, schneiden, theilen sich von selbst in dieser | ||||||
| 02 | Proportion. Die andern krummen Linien geben wiederum andere zweckmäßige | ||||||
| 03 | Auflösungen an die Hand, an die in der Regel, die ihre Construction | ||||||
| 04 | ausmacht, gar nicht gedacht war. Alle Kegelschnitte für sich und in Vergleichung | ||||||
| 05 | mit einander sind fruchtbar an Principien zur Auflösung einer | ||||||
| 06 | Menge möglicher Probleme, so einfach auch ihre Erklärung ist, welche | ||||||
| 07 | ihren Begriff bestimmt. - Es ist eine wahre Freude, den Eifer der alten | ||||||
| 08 | Geometer anzusehen, mit dem sie diesen Eigenschaften der Linien dieser | ||||||
| 09 | Art nachforschten, ohne sich durch die Frage eingeschränkter Köpfe irre | ||||||
| 10 | machen zu lassen, wozu denn diese Kenntniß nützen sollte; z. B. die der Parabel, | ||||||
| 11 | ohne das Gesetz der Schwere auf der Erde zu kennen, welches ihnen | ||||||
| 12 | die Anwendung derselben auf die Wurfslinie schwerer Körper (deren | ||||||
| 13 | Richtung der Schwere in ihrer Bewegung als parallel angesehen werden | ||||||
| 14 | kann) würde an die Hand gegeben haben; oder der Ellipse, ohne zu ahnen, | ||||||
| 15 | daß auch eine Schwere an Himmelskörpern zu finden sei, und ohne ihr | ||||||
| 16 | Gesetz in verschiedenen Entfernungen vom Anziehungspunkte zu kennen, | ||||||
| 17 | welches macht, daß sie diese Linie in freier Bewegung beschreiben. Während | ||||||
| 18 | dessen, daß sie hierin, ihnen selbst unbewußt, für die Nachkommenschaft | ||||||
| 19 | arbeiteten, ergötzten sie sich an einer Zweckmäßigkeit in dem Wesen der | ||||||
| 20 | Dinge, die sie doch völlig a priori in ihrer Nothwendigkeit darstellen | ||||||
| 21 | konnten. Plato, selbst Meister in dieser Wissenschaft, gerieth über eine | ||||||
| 22 | solche ursprüngliche Beschaffenheit der Dinge, welche zu entdecken wir aller | ||||||
| 23 | Erfahrung entbehren können, und über das Vermögen des Gemüths, die | ||||||
| 24 | Harmonie der Wesen aus ihrem übersinnlichen Princip schöpfen zu können | ||||||
| 25 | (wozu noch die Eigenschaften der Zahlen kommen, mit denen das Gemüth | ||||||
| 26 | in der Musik spielt), in die Begeisterung, welche ihn über die Erfahrungsbegriffe | ||||||
| 27 | zu Ideen erhob, die ihm nur durch eine intellectuelle Gemeinschaft | ||||||
| 28 | mit dem Ursprunge aller Wesen erklärlich zu sein schienen. Kein Wunder, | ||||||
| 29 | daß er den der Meßkunst Unkundigen aus seiner Schule verwies, indem | ||||||
| 30 | er das, was Anaxagoras aus Erfahrungsgegenständen und ihrer Zweckverbindung | ||||||
| 31 | schloß, aus der reinen, dem menschlichen Geiste innerlich beiwohnenden | ||||||
| 32 | Anschauung abzuleiten dachte. Denn in der Nothwendigkeit | ||||||
| 33 | dessen, was zweckmäßig ist und so beschaffen ist, als ob es für unsern | ||||||
| 34 | Gebrauch absichtlich so eingerichtet wäre, gleichwohl aber dem Wesen der | ||||||
| 35 | Dinge ursprünglich zuzukommen scheint, ohne auf unsern Gebrauch Rücksicht | ||||||
| 36 | zu nehmen, liegt eben der Grund der großen Bewunderung der Natur, | ||||||
| 37 | nicht sowohl außer uns, als in unserer eigenen Vernunft; wobei es wohl | ||||||
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