Kant: AA V, Kritik der Urtheilskraft ... , Seite 333 |
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01 | Ursache in dem Einflusse der Vorstellung auf den Körper und dessen | ||||||
02 | Wechselwirkung auf das Gemüth bestehen; und zwar nicht, sofern die Vorstellung | ||||||
03 | objectiv ein Gegenstand des Vergnügens ist (denn wie kann eine | ||||||
04 | getäuschte Erwartung vergnügen?), sondern lediglich dadurch, daß sie als | ||||||
05 | bloßes Spiel der Vorstellungen ein Gleichgewicht der Lebenskräfte im | ||||||
06 | Körper hervorbringt. | ||||||
07 | Wenn jemand erzählt: daß ein Indianer, der an der Tafel eines | ||||||
08 | Engländers in Surate eine Bouteille mit Ale öffnen und alles dies Bier, | ||||||
09 | in Schaum verwandelt, herausdringen sah, mit vielen Ausrufungen seine | ||||||
10 | große Verwunderung anzeigte und auf die Frage des Engländers: was | ||||||
11 | ist denn hier sich so sehr zu verwundern? Antwortete: ich wundere mich | ||||||
12 | auch nicht darüber, daß es herausgeht, sondern wie ihrs habt herein kriegen | ||||||
13 | können, so lachen wir, und es macht uns eine herzliche Lust: nicht weil wir | ||||||
14 | uns etwa klüger finden als diesen Unwissenden, oder sonst über etwas, | ||||||
15 | was uns der Verstand hierin Wohlgefälliges bemerken ließe; sondern unsre | ||||||
16 | Erwartung war gespannt und verschwindet plötzlich in Nichts. Oder wenn | ||||||
17 | der Erbe eines reichen Verwandten diesem sein Leichenbegängniß recht | ||||||
18 | feierlich veranstalten will, aber klagt, daß es ihm hiemit nicht recht gelingen | ||||||
19 | wolle; denn (sagt er): je mehr ich meinen Trauerleuten Geld gebe, betrübt | ||||||
20 | auszusehen, desto lustiger sehen sie aus, so lachen wir laut, und der Grund | ||||||
21 | liegt darin, daß eine Erwartung sich plötzlich in Nichts verwandelt. Man | ||||||
22 | muß wohl bemerken: daß sie sich nicht in das positive Gegentheil eines | ||||||
23 | erwarteten Gegenstandes - denn das ist immer etwas und kann oft betrüben, | ||||||
24 | sondern in Nichts verwandeln müsse. Denn wenn jemand uns | ||||||
25 | mit der Erzählung einer Geschichte große Erwartung erregt, und wir beim | ||||||
26 | Schlusse die Unwahrheit derselben sofort einsehen, so macht es uns Mißfallen; | ||||||
27 | wie z. B. die von Leuten, welche vor großem Gram in einer Nacht | ||||||
28 | graue Haare bekommen haben sollen. Dagegen wenn auf eine dergleichen | ||||||
29 | Erzählung zur Erwiderung ein anderer Schalk sehr umständlich den | ||||||
30 | Gram eines Kaufmanns erzählt, der, aus Indien mit allem seinem Vermögen | ||||||
31 | in Waaren nach Europa zurückkehrend, in einem schweren Sturm | ||||||
32 | alles über Bord zu werfen genöthigt wurde und sich dermaßen grämte, | ||||||
33 | daß ihm darüber in derselben Nacht die Perrüke grau ward: so lachen | ||||||
34 | wir, und es macht uns Vergnügen, weil wir unsern eignen Mißgriff nach | ||||||
35 | einem für uns übrigens gleichgültigen Gegenstande, oder vielmehr unsere | ||||||
36 | verfolgte Idee wie einen Ball noch eine Zeit lang hin= und herschlagen, | ||||||
37 | indem wir bloß gemeint sind ihn zu greifen und fest zu halten. Es ist | ||||||
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