Kant: AA V, Kritik der praktischen ... , Seite 043 |
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| 01 | Einwürfe rettete, ohne doch von solchen Gegenständen irgend etwas Bestimmtes | ||||||
| 02 | und Erweiterndes zu erkennen zu geben, indem sie vielmehr alle | ||||||
| 03 | Aussicht dahin gänzlich abschnitt. | ||||||
| 04 | Dagegen giebt das moralische Gesetz, wenn gleich keine Aussicht, | ||||||
| 05 | dennoch ein schlechterdings aus allen Datis der Sinnenwelt und dem | ||||||
| 06 | ganzen Umfange unseres theoretischen Vernunftgebrauchs unerklärliches | ||||||
| 07 | Factum an die Hand, das auf eine reine Verstandeswelt Anzeige giebt, | ||||||
| 08 | ja diese sogar positiv bestimmt und uns etwas von ihr, nämlich ein | ||||||
| 09 | Gesetz, erkennen läßt. | ||||||
| 10 | Dieses Gesetz soll der Sinnenwelt, als einer sinnlichen Natur, | ||||||
| 11 | (was die vernünftigen Wesen betrifft) die Form einer Verstandeswelt, | ||||||
| 12 | d. i. einer übersinnlichen Natur, verschaffen, ohne doch jener ihrem | ||||||
| 13 | Mechanism Abbruch zu thun. Nun ist Natur im allgemeinsten Verstande | ||||||
| 14 | die Existenz der Dinge unter Gesetzen. Die sinnliche Natur vernünftiger | ||||||
| 15 | Wesen überhaupt ist die Existenz derselben unter empirisch bedingten Gesetzen, | ||||||
| 16 | mithin für die Vernunft Heteronomie. Die übersinnliche Natur | ||||||
| 17 | eben derselben Wesen ist dagegen ihre Existenz nach Gesetzen, die von aller | ||||||
| 18 | empirischen Bedingung unabhängig sind, mithin zur Autonomie der | ||||||
| 19 | reinen Vernunft gehören. Und da die Gesetze, nach welchen das Dasein | ||||||
| 20 | der Dinge vom Erkenntniß abhängt, praktisch sind: so ist die übersinnliche | ||||||
| 21 | Natur, so weit wir uns einen Begriff von ihr machen können, nichts anders | ||||||
| 22 | als eine Natur unter der Autonomie der reinen praktischen | ||||||
| 23 | Vernunft. Das Gesetz dieser Autonomie aber ist das moralische | ||||||
| 24 | Gesetz, welches also das Grundgesetz einer übersinnlichen Natur und einer | ||||||
| 25 | reinen Verstandeswelt ist, deren Gegenbild in der Sinnenwelt, aber doch | ||||||
| 26 | zugleich ohne Abbruch der Gesetze derselben existiren soll. Man könnte | ||||||
| 27 | jene die urbildliche ( natura archetypa ), die wir blos in der Vernunft | ||||||
| 28 | erkennen, diese aber, weil sie die mögliche Wirkung der Idee der ersteren | ||||||
| 29 | als Bestimmungsgrundes des Willens enthält, die nachgebildete ( natura | ||||||
| 30 | ectypa ) nennen. Denn in der That versetzt uns das moralische Gesetz der | ||||||
| 31 | Idee nach in eine Natur, in welcher reine Vernunft, wenn sie mit dem ihr | ||||||
| 32 | angemessenen physischen Vermögen begleitet wäre, das höchste Gut hervorbringen | ||||||
| 33 | würde, und bestimmt unseren Willen die Form der Sinnenwelt, | ||||||
| 34 | als einem Ganzen vernünftiger Wesen, zu ertheilen. | ||||||
| 35 | Daß diese Idee wirklich unseren Willensbestimmungen gleichsam als | ||||||
| 36 | Vorzeichnung zum Muster liege, bestätigt die gemeinste Aufmerksamkeit | ||||||
| 37 | auf sich selbst. | ||||||
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