Kant: AA V, Kritik der praktischen ... , Seite 020 |
|||||||
Zeile:
|
Text (Kant):
|
|
|
||||
| 01 | der Vernunft ist dort theoretisch und durch die Beschaffenheit des Objects bestimmt. | ||||||
| 02 | In der praktischen Erkenntniß , d. i. derjenigen, welche es blos mit Bestimmungsgründen | ||||||
| 03 | des Willens zu thun hat, sind Grundsätze, die man sich macht, darum | ||||||
| 04 | noch nicht Gesetze, darunter man unvermeidlich stehe, weil die Vernunft im Praktischen | ||||||
| 05 | es mit dem Subjecte zu thun hat, nämlich dem Begehrungsvermögen, nach | ||||||
| 06 | dessen besonderer Beschaffenheit sich die Regel vielfältig richten kann. - Die praktische | ||||||
| 07 | Regel ist jederzeit ein Product der Vernunft, weil sie Handlung als Mittel | ||||||
| 08 | zur Wirkung als Absicht vorschreibt. Diese Regel ist aber für ein Wesen, bei | ||||||
| 09 | dem Vernunft nicht ganz allein Bestimmungsgrund des Willens ist, ein Imperativ, | ||||||
| 10 | d. i. eine Regel, die durch ein Sollen, welches die objective Nöthigung | ||||||
| 11 | der Handlung ausdrückt, bezeichnet wird, und bedeutet, daß, wenn die Vernunft | ||||||
| 12 | den Willen gänzlich bestimmte, die Handlung unausbleiblich nach dieser Regel | ||||||
| 13 | geschehen würde. Die Imperativen gelten also objectiv und sind von Maximen, | ||||||
| 14 | als subjectiven Grundsätzen, gänzlich unterschieden. Jene bestimmen aber entweder | ||||||
| 15 | die Bedingungen der Causalität des vernünftigen Wesens, als wirkender | ||||||
| 16 | Ursache, bloß in Ansehung der Wirkung und Zulänglichkeit zu derselben, oder sie | ||||||
| 17 | bestimmen nur den Willen, er mag zur Wirkung hinreichend sein oder nicht. Die | ||||||
| 18 | erstere würden hypothetische Imperativen sein und bloße Vorschriften der Geschicklichkeit | ||||||
| 19 | enthalten; die zweiten würden dagegen kategorisch und allein praktische Gesetze | ||||||
| 20 | sein. Maximen sind also zwar Grundsätze, aber nicht Imperativen. | ||||||
| 21 | Die Imperativen selber aber, wenn sie bedingt sind, d. i. nicht den Willen schlechthin | ||||||
| 22 | als Willen, sondern nur in Ansehung einer begehrten Wirkung bestimmen, d. i. | ||||||
| 23 | hypothetische Imperativen sind, sind zwar praktische Vorschriften, aber keine | ||||||
| 24 | Gesetze. Die letzteren müssen den Willen als Willen, noch ehe ich frage, ob ich | ||||||
| 25 | gar das zu einer begehrten Wirkung erforderliche Vermögen habe, oder was mir, | ||||||
| 26 | um diese hervorzubringen, zu thun sei, hinreichend bestimmen, mithin kategorisch | ||||||
| 27 | sein, sonst sind es keine Gesetze: weil ihnen die Nothwendigkeit fehlt, welche, wenn | ||||||
| 28 | sie praktisch sein soll, von pathologischen, mithin dem Willen zufällig anklebenden | ||||||
| 29 | Bedingungen unabhängig sein muß. Saget jemanden, z. B. daß er in der Jugend | ||||||
| 30 | arbeiten und sparen müsse, um im Alter nicht zu darben: so ist dieses eine richtige | ||||||
| 31 | und zugleich wichtige praktische Vorschrift des Willens. Man sieht aber leicht, daß | ||||||
| 32 | der Wille hier auf etwas Anderes verwiesen werde, wovon man voraussetzt, | ||||||
| 33 | daß er es begehre, und dieses Begehren muß man ihm, dem Thäter selbst, überlassen, | ||||||
| 34 | ob er noch andere Hülfsquellen außer seinem selbst erworbenen Vermögen | ||||||
| 35 | vorhersehe, oder ob er gar nicht hoffe alt zu werden, oder sich denkt im Falle der | ||||||
| 36 | Noth dereinst schlecht behelfen zu können. Die Vernunft, aus der allein alle Regel, | ||||||
| 37 | die Nothwendigkeit enthalten soll, entspringen kann, legt in diese ihre Vorschrift | ||||||
| 38 | zwar auch Nothwendigkeit (denn ohne das wäre sie kein Imperativ), aber diese ist | ||||||
| 39 | nur subjectiv bedingt, und man kann sie nicht in allen Subjecten in gleichem Grade | ||||||
| 40 | voraussetzen. Zu ihrer Gesetzgebung aber wird erfordert, daß sie blos sich selbst | ||||||
| [ Seite 019 ] [ Seite 021 ] [ Inhaltsverzeichnis ] |
|||||||