Kant: AA IV, Metaphysische Anfangsgründe ... , Seite 557 |
|||||||
Zeile:
|
Text (Kant):
|
|
|
||||
| 01 | relativen Raums, statt der Bewegung des Körpers genommen | ||||||
| 02 | keine wirkliche Bewegung des letzteren, sondern, wenn sie dafür | ||||||
| 03 | gehalten wird, ein bloßer Schein. | ||||||
| 04 | Beweis. |
||||||
| 05 | Die Kreisbewegung ist (so wie jede krummlinichte) eine continuirliche | ||||||
| 06 | Veränderung der geradlinichten, und da diese selbst eine continuirliche | ||||||
| 07 | Veränderung der Relation in Ansehung des äußeren Raumes ist, so ist | ||||||
| 08 | die Kreisbewegung eine Veränderung der Veränderung dieser äußeren | ||||||
| 09 | Verhältnisse im Raume, folglich ein continuirliches Entstehen neuer Bewegungen. | ||||||
| 10 | Weil nun nach dem Gesetze der Trägheit eine Bewegung, so | ||||||
| 11 | fern sie entsteht, eine äußere Ursache haben muß, gleichwohl aber der | ||||||
| 12 | Körper in jedem Punkte dieses Kreises (nach eben demselben Gesetze) für | ||||||
| 13 | sich in der den Kreis berührenden geraden Linie fortzugehen bestrebt ist, | ||||||
| 14 | welche Bewegung jener äußeren Ursache entgegenwirkt, so beweiset jeder | ||||||
| 15 | Körper in der Kreisbewegung durch seine Bewegung eine bewegende | ||||||
| 16 | Kraft. Nun ist die Bewegung des Raumes zum Unterschiede der Bewegung | ||||||
| 17 | des Körpers blos phoronomisch und hat keine bewegende Kraft. | ||||||
| 18 | Folglich ist das Urtheil, daß hier entweder der Körper, oder der Raum in | ||||||
| 19 | entgegengesetzter Richtung bewegt sei, ein disjunctives Urtheil, durch | ||||||
| 20 | welches, wenn das eine Glied, nämlich die Bewegung des Körpers, gesetzt | ||||||
| 21 | ist, das andere, nämlich die des Raumes, ausgeschlossen wird; also ist die | ||||||
| 22 | Kreisbewegung eines Körpers zum Unterschiede von der Bewegung des | ||||||
| 23 | Raums wirkliche Bewegung, folglich die letztere, wenn sie gleich der Erscheinung | ||||||
| 24 | nach mit der ersteren übereinkommt, dennoch im Zusammenhange | ||||||
| 25 | aller Erscheinungen, d. i. der möglichen Erfahrung, dieser widerstreitend, | ||||||
| 26 | also nichts als bloßer Schein. | ||||||
| 27 | Anmerkung. |
||||||
| 28 | Dieser Lehrsatz bestimmt die Modalität der Bewegung in Ansehung der | ||||||
| 29 | Dynamik; denn eine Bewegung, die nicht ohne den Einfluß einer continuirlich | ||||||
| 30 | wirkenden äußern bewegenden Kraft stattfinden kann, beweiset mittelbar oder unmittelbar | ||||||
| 31 | ursprüngliche Bewegkräfte der Materie, es sei der Anziehung oder Zurückstoßung. | ||||||
| 32 | Übrigens kann Newtons Scholium zu den Definitionen, die er seinen | ||||||
| 33 | Princ. Phil. Nat. Math. vorangesetzt hat, gegen das Ende hierüber nachgesehen werden, | ||||||
| 34 | aus welchem erhellt, daß die Kreisbewegung zweier Körper um einen gemeinschaftlichen | ||||||
| [ Seite 556 ] [ Seite 558 ] [ Inhaltsverzeichnis ] |
|||||||