Kant: AA IV, Metaphysische Anfangsgründe ... , Seite 526 |
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01 | leere Zwischenräume zu enthalten, mithin ein Continuum, nicht ein Interruptum | ||||||
02 | ist; allein sie ist doch in Vergleichung mit einer andern weniger dicht, in dynamischer | ||||||
03 | Bedeutung, wenn sie ihren Raum zwar ganz, aber nicht in gleichem Grade | ||||||
04 | erfüllt. Allein auch in dem letzteren System ist es unschicklich, sich ein Verhältniß | ||||||
05 | der Materien ihrer Dichtigkeit nach zu denken, wenn man sie sich nicht untereinander | ||||||
06 | als specifisch gleichartig vorstellt, so daß eine aus der andern durch bloße | ||||||
07 | Zusammendrückung erzeugt werden kann. Da nun das letztere nicht eben nothwendig | ||||||
08 | zur Natur aller Materie an sich erforderlich zu sein scheint, so kann zwischen | ||||||
09 | ungleichartigen Materien keine Vergleichung in Ansehung ihrer Dichtigkeit | ||||||
10 | füglich stattfinden, z. B. zwischen Wasser und Quecksilber, obzwar es im Gebrauche | ||||||
11 | ist. | ||||||
12 | 2) Anziehung, so fern sie blos als in der Berührung wirksam gedacht | ||||||
13 | wird, heißt Zusammenhang. (Zwar thut man durch sehr gute Versuche | ||||||
14 | dar, daß dieselbe Kraft, die in der Berührung Zusammenhang heißt, auch in sehr | ||||||
15 | kleiner Entfernung wirksam befunden werde; allein die Anziehung heißt doch nur | ||||||
16 | Zusammenhang, so fern ich sie blos in der Berührung denke, der gemeinen Erfahrung | ||||||
17 | gemäß, bei welcher sie in kleinen Entfernungen kaum wahrgenommen | ||||||
18 | wird. Zusammenhang wird gemeinhin für eine ganz allgemeine Eigenschaft der | ||||||
19 | Materie angenommen, nicht als ob man zu ihr schon durch den Begriff einer Materie | ||||||
20 | geleitet würde, sondern weil die Erfahrung sie allerwärts darthut. Allein | ||||||
21 | diese Allgemeinheit muß nicht collectiv verstanden werden, als ob jede Materie | ||||||
22 | durch diese Art der Anziehung auf jede andere im Weltraume zugleich wirkte | ||||||
23 | dergleichen die der Gravitation ist -, sondern blos disjunctiv, nämlich auf | ||||||
24 | eine oder die andere, von welcher Art Materien sie auch sein mag, die mit ihr in | ||||||
25 | Berührung kommt. Um deswillen und da diese Anziehung, wie es verschiedene | ||||||
26 | Beweisgründe darthun können, nicht durchdringend, sondern nur Flächenkraft ist, | ||||||
27 | da sie selbst als solche nicht einmal allerwärts nach der Dichtigkeit sich richtet, da | ||||||
28 | zur völligen Stärke des Zusammenhanges ein vorhergehender Zustand der Flüssigkeit | ||||||
29 | der Materien und der nachmaligen Erstarrung derselben erforderlich ist und | ||||||
30 | die allergenaueste Berührung gebrochener fester Materien in eben denselben Flächen, | ||||||
31 | mit denen sie vorher so stark zusammenhingen, z. B. eines Spiegelglases, wo | ||||||
32 | es einen Riß hat, dennoch bei weitem den Grad der Anziehung nicht mehr verstattet, | ||||||
33 | den es von seiner Erstarrung nach dem Flusse her hatte, so halte ich diese Attraction | ||||||
34 | in der Berührung für keine Grundkraft der Materie, sondern eine nur abgeleitete; | ||||||
35 | wovon weiter unten ein Mehreres.) Eine Materie, deren Theile unerachtet | ||||||
36 | ihres noch so starken Zusammenhanges unter einander dennoch | ||||||
37 | von jeder noch so kleinen bewegenden Kraft an einander können | ||||||
38 | verschoben werden, ist flüssig. Theile einer Materie werden aber an | ||||||
39 | einander verschoben, wenn sie ohne das Quantum der Berührung zu | ||||||
40 | vermindern, nur genöthigt werden, diese unter einander zu verwechseln. | ||||||
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