Kant: AA IV, Metaphysische Anfangsgründe ... , Seite 515 |
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01 | Verhältniß der Quantität der Materie geschehen muß, so macht dieses | ||||||
02 | Gesetz doch nur ein Princip der Mechanik, aber nicht der Dynamik, d. i. es ist | ||||||
03 | ein Gesetz der Bewegungen, die aus anziehenden Kräften folgen, nicht der | ||||||
04 | Proportion der Anziehungskräfte selbst und gilt von allen bewegenden Kräften | ||||||
05 | überhaupt. Wenn daher ein Magnet einmal durch einen anderen, gleichen | ||||||
06 | Magnet, ein andermal durch eben denselben, der aber in einer zweimal schwereren | ||||||
07 | hölzernen Büchse eingeschlossen wäre, gezogen wird, so wird dieser im letzteren | ||||||
08 | Falle dem ersteren mehr relative Bewegung ertheilen als im ersteren, obgleich das | ||||||
09 | Holz, welches die Quantität der Materie des letzteren vermehrt, zur Anziehungskraft | ||||||
10 | desselben gar nichts hinzuthut und keine magnetische Anziehung der Büchse | ||||||
11 | beweiset. Newton sagt ( Cor. 2 Prop. 6 Lib. III Princip. Phil. N. ): "Wenn | ||||||
12 | der Äther oder irgend ein anderer Körper ohne Schwere wäre, so würde, da jener | ||||||
13 | von jeder anderen Materie doch in nichts als der Form unterschieden ist, er nach | ||||||
14 | und nach durch allmählige Veränderung dieser Form in eine Materie von der Art | ||||||
15 | wie die, so auf Erden die meiste Schwere haben, verwandelt werden können und | ||||||
16 | diese letztere also umgekehrt durch allmählige Veränderung ihrer Form alle ihre | ||||||
17 | Schwere verlieren können, welches der Erfahrung zuwider ist etc.." Er schloß also | ||||||
18 | selbst nicht den Äther (wieviel weniger andere Materien) vom Gesetze der Anziehung | ||||||
19 | aus. Was konnte ihm denn nun noch für eine Materie übrigbleiben, um | ||||||
20 | durch deren Stoß die Annäherung der Körper zu einander als bloße scheinbare | ||||||
21 | Anziehung anzusehen? Also kann man diesen großen Stifter der Attractionstheorie | ||||||
22 | nicht als seinen Vorgänger anführen, wenn man sich die Freiheit nimmt, der wahren | ||||||
23 | Anziehung, die dieser behauptete, eine scheinbare zu unterschieben und die | ||||||
24 | Nothwendigkeit des Antriebs durch den Stoß anzunehmen, um das Phänomen | ||||||
25 | der Annäherung zu erklären. Er abstrahirte mit Recht von allen Hypothesen, | ||||||
26 | die Frage wegen der Ursache der allgemeinen Attraction der Materie zu beantworten; | ||||||
27 | denn diese Frage ist physisch, oder metaphysisch, nicht aber mathematisch, | ||||||
28 | und ob er gleich in der Vorerinnerung zur zweiten Ausgabe seiner Optik sagt: ne | ||||||
29 | quis gravitatem inter essentiales corporum proprietates me habere existimet , | ||||||
30 | quaestionem unam de eius causa investigandaßsubieci , so merkt man wohl, da | ||||||
31 | der Anstoß, den seine Zeitgenossen und vielleicht er selbst am Begriffe einer ursprünglichen | ||||||
32 | Anziehung nahmen, ihn mit sich selbst uneinig machte: denn er konnte | ||||||
33 | schlechterdings nicht sagen, daß sich die Anziehungskräfte zweier Planeten, z. B. des | ||||||
34 | Jupiters und Saturns, die sie in gleichen Entfernungen ihrer Trabanten (deren | ||||||
35 | Masse man nicht kennt) beweisen, wie die Quantität der Materie jener Weltkörper | ||||||
36 | verhalten, wenn er nicht annahm, daß sie blos als Materie, mithin nach einer allgemeinen | ||||||
37 | Eigenschaft derselben andere Materie anzögen. | ||||||
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