Kant: AA IV, Metaphysische Anfangsgründe ... , Seite 489 |
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01 | Erklärung 5. |
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02 | Die Zusammensetzung der Bewegung ist die Vorstellung | ||||||
03 | der Bewegung eines Punkts als einerlei mit zwei oder mehreren | ||||||
04 | Bewegungen desselben zusammen verbunden. | ||||||
05 | Anmerkung. |
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06 | In der Phoronomie, da ich die Materie durch keine andere Eigenschaft als | ||||||
07 | ihre Beweglichkeit kenne, mithin sie selbst nur als einen Punkt betrachten darf, | ||||||
08 | kann die Bewegung nur als Beschreibung eines Raumes betrachtet werden, | ||||||
09 | doch so, daß ich nicht blos wie in der Geometrie auf den Raum, der beschrieben | ||||||
10 | wird, sondern auch auf die Zeit darin, mithin auf die Geschwindigkeit, womit ein | ||||||
11 | Punkt den Raum beschreibt, Acht habe. Phoronomie ist also die reine Größenlehre | ||||||
12 | ( Mathesis ) der Bewegungen. Der bestimmte Begriff von einer Größe ist der Begriff | ||||||
13 | der Erzeugung der Vorstellung eines Gegenstandes durch die Zusammensetzung | ||||||
14 | des Gleichartigen. Da nun der Bewegung nichts gleichartig ist, als | ||||||
15 | wiederum Bewegung, so ist die Phoronomie eine Lehre der Zusammensetzung der | ||||||
16 | Bewegungen eben desselben Punkts nach ihrer Richtung und Geschwindigkeit, d. i. | ||||||
17 | die Vorstellung einer einzigen Bewegung als einer solchen, die zwei und so mehrere | ||||||
18 | Bewegungen zugleich in sich enthält, oder zweier Bewegungen eben desselben | ||||||
19 | Punkts zugleich, so fern sie zusammen eine ausmachen, d. i. mit dieser einerlei | ||||||
20 | sind, und nicht etwa so fern sie die letztere, als Ursachen ihre Wirkung, hervorbringen. | ||||||
21 | Um die Bewegung zu finden, die aus der Zusammensetzung von mehreren, so viel | ||||||
22 | man will, entspringt, darf man nur wie bei aller Größenerzeugung zuerst diejenige | ||||||
23 | suchen, die unter gegebenen Bedingungen aus zweien zusammengesetzt ist; darauf | ||||||
24 | diese mit einer dritten verbinden u. s. w. Folglich läßt die Lehre der Zusammensetzung | ||||||
25 | aller Bewegungen sich auf die von zweien zurückführen. Zwei Bewegungen | ||||||
26 | aber eines und desselben Punkts, die zugleich an demselben angetroffen | ||||||
27 | werden, können auf zwiefache Weise unterschieden sein und als solche auf dreifache | ||||||
28 | Art an ihm verbunden werden. Erstlich geschehen sie entweder in einer und derselben | ||||||
29 | Linie, oder in verschiedenen Linien zugleich; die letztere sind Bewegungen, | ||||||
30 | die einen Winkel einschließen. Die, so in einer und derselben Linie | ||||||
31 | geschehen, sind nun der Richtung nach entweder einander entgegengesetzt, | ||||||
32 | oder halten einerlei Richtung. Da alle diese Bewegungen als zugleich geschehend | ||||||
33 | betrachtet werden, so ergiebt sich aus dem Verhältniß der Linien, d. i. der | ||||||
34 | beschriebenen Räume der Bewegung in gleicher Zeit, sofort auch das Verhältniß | ||||||
35 | der Geschwindigkeit. Also sind der Fälle drei: 1) Da zwei Bewegungen (sie | ||||||
36 | mögen von gleichen oder ungleichen Geschwindigkeiten sein), in einem Körper in | ||||||
37 | derselben Richtung verbunden, eine daraus zusammengesetzte Bewegung ausmachen | ||||||
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