Kant: AA IV, Metaphysische Anfangsgründe ... , Seite 485

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01
Erklärung 3.
     
           
  02 Ruhe ist die beharrliche Gegenwart ( praesentia perdurabilis )      
  03 an demselben Orte; beharrlich aber ist das, was eine Zeit hindurch      
  04 existirt, d. i. dauret.      
           
  05
Anmerkung.
     
           
  06 Ein Körper, der in Bewegung ist, ist in jedem Punkte der Linie, die er durchläuft,      
  07 einen Augenblick. Es frägt sich nun, ob er darin Ruhe, oder sich bewege.      
  08 Ohne Zweifel wird man das letztere sagen; denn er ist in diesem Punkte nur so fern,      
  09 als er sich bewegt, gegenwärtig. Man nehme aber die Bewegung desselben so an:      
  10 Drei Kreise gekennzeichnet mit A, B, a; Kreis A und Kreis B mit einer Geraden verbunden; Kreis B und Kreis a verbunden mit Punktlinie, daß der Körper mit gleichförmiger Geschwindigkeit die Linie AB    
  11 vorwärts und rückwärts von B nach A zurücklege, so daß, weil der Augenblick, da      
  12 er in B ist, beiden Bewegungen gemein ist, die Bewegungen von A nach B in      
  13 1/2 Sec., die von B nach A aber auch in 1/2 Sec., beide zusammen aber in einer ganzen      
  14 Secunde zurückgelegt worden, so daß auch nicht der kleinste Theil der Zeit auf die      
  15 Gegenwart des Körpers in B aufgewandt worden: so wird ohne den mindesten      
  16 Zuwachs dieser Bewegungen die letztere, die in der Richtung BA geschah, in die      
  17 nach der Richtung - Ba -, welches mit AB in einer geraden Linie liegt, verwandelt      
  18 werden können, wo denn der Körper, indem er in B ist, darin nicht als ruhig, sondern      
  19 als bewegt angesehen werden muß. Er mußte daher auch in der ersteren, in      
  20 sich selbst wiederkehrenden Bewegung in dem Punkte B als bewegt angesehen werden,      
  21 welches aber unmöglich ist: weil nach dem, was angenommen worden, es nur      
  22 ein Augenblick ist, der zur Bewegung AB und zugleich zur gleichen Bewegung BA      
  23 gehört, die der vorigen entgegengesetzt und mit ihr in einem und demselben Augenblicke      
  24 verbunden, völligen Mangel der Bewegung, folglich, wenn dieser den Begriff      
  25 der Ruhe ausmachte, auch in der gleichförmigen Bewegung Aa Ruhe des      
  26 Körpers in jedem Punkte, z. B. in B, beweisen müßte, welches der obigen Behauptung      
  27 widerspricht. Man stelle sich dagegen die Linie AB als über den Punkt A      
  28 aufgerichtet vor, so daß ein Körper von A nach B steige und, nachdem er durch die      
  29 Schwere im Punkte B seine Bewegung verloren hat, von B nach A eben so wiederum      
  30 zurückfalle; so frage ich, ob der Körper in B als bewegt, oder als ruhig angesehen      
  31 werden könne. Ohne Zweifel wird man sagen, als ruhig: weil ihm alle vorherige      
  32 Bewegung genommen worden, nachdem er diesen Punkt erreicht hat, und      
  33 hernach eine gleichmäßige Bewegung zurück allererst folgen soll, folglich noch nicht      
  34 da ist; der Mangel aber der Bewegung, wird man hinzusetzen, ist Ruhe. Aber in      
  35 dem ersteren Falle einer angenommenen gleichförmigen Bewegung konnte die Bewegung      
  36 BA auch nicht anders eintreten, als dadurch daß vorher die Bewegung AB      
           
     

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