Kant: AA IV, Metaphysische Anfangsgründe ... , Seite 470 |
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Text (Kant):
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| 01 | Metaphysik der Natur: oder sie beschäftigt sich mit einer besonderen Natur | ||||||
| 02 | dieser oder jener Art Dinge, von denen ein empirischer Begriff gegeben | ||||||
| 03 | ist, doch so, daß außer dem, was in diesem Begriffe liegt, kein anderes | ||||||
| 04 | empirisches Princip zur Erkenntniß derselben gebraucht wird (z. B. sie | ||||||
| 05 | legt den empirischen Begriff einer Materie, oder eines denkenden Wesens | ||||||
| 06 | zum Grunde und sucht den Umfang der Erkenntniß, deren die Vernunft | ||||||
| 07 | über diese Gegenstände a priori fähig ist), und da muß eine solche Wissenschaft | ||||||
| 08 | noch immer eine Metaphysik der Natur, nämlich der körperlichen | ||||||
| 09 | oder denkenden Natur, heißen, aber es ist alsdann keine allgemeine, sondern | ||||||
| 10 | besondere metaphysische Naturwissenschaft (Physik und Psychologie), | ||||||
| 11 | in der jene transscendentale Principien auf die zwei Gattungen der Gegenstände | ||||||
| 12 | unserer Sinne angewandt werden. | ||||||
| 13 | Ich behaupte aber, daß in jeder besonderen Naturlehre nur so viel | ||||||
| 14 | eigentliche Wissenschaft angetroffen werden könne, als darin Mathematik | ||||||
| 15 | anzutreffen ist. Denn nach dem Vorhergehenden erfordert eigentliche | ||||||
| 16 | Wissenschaft, vornehmlich der Natur, einen reinen Theil, der dem | ||||||
| 17 | empirischen zum Grunde liegt, und der auf Erkenntniß der Naturdinge | ||||||
| 18 | a priori beruht. Nun heißt etwas a priori erkennen, es aus seiner bloßen | ||||||
| 19 | Möglichkeit erkennen. Die Möglichkeit bestimmter Naturdinge kann aber | ||||||
| 20 | nicht aus ihren bloßen Begriffen erkannt werden; denn aus diesen kann | ||||||
| 21 | zwar die Möglichkeit des Gedankens (daß er sich selbst nicht widerspreche), | ||||||
| 22 | aber nicht des Objects als Naturdinges erkannt werden, welches außer | ||||||
| 23 | dem Gedanken (als existirend) gegeben werden kann. Also wird, um die | ||||||
| 24 | Möglichkeit bestimmter Naturdinge, mithin um diese a priori zu erkennen, | ||||||
| 25 | noch erfordert, daß die dem Begriffe correspondirende Anschauung | ||||||
| 26 | a priori gegeben werde, d. i. daß der Begriff construirt werde. Nun ist die | ||||||
| 27 | Vernunfterkenntniß durch Construction der Begriffe mathematisch. Also | ||||||
| 28 | mag zwar eine reine Philosophie der Natur überhaupt, d. i. diejenige, | ||||||
| 29 | die nur das, was den Begriff einer Natur im Allgemeinen ausmacht, untersucht, | ||||||
| 30 | auch ohne Mathematik möglich sein, aber eine reine Naturlehre über | ||||||
| 31 | bestimmte Naturdinge (Körperlehre und Seelenlehre) ist nur vermittelst | ||||||
| 32 | der Mathematik möglich, und da in jeder Naturlehre nur so viel eigentliche | ||||||
| 33 | Wissenschaft angetroffen wird, als sich darin Erkenntniß a priori befindet, | ||||||
| 34 | so wird Naturlehre nur so viel eigentliche Wissenschaft enthalten, | ||||||
| 35 | als Mathematik in ihr angewandt werden kann. | ||||||
| 36 | So lange also noch für die chemischen Wirkungen der Materien auf | ||||||
| 37 | einander kein Begriff ausgefunden wird, der sich construiren läßt, d. i. | ||||||
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