Kant: AA IV, Grundlegung zur Metaphysik der ... , Seite 448 |
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01 | von der menschlichen Natur darzuthun (wiewohl dieses auch schlechterdings | ||||||
02 | unmöglich ist und lediglich a priori dargethan werden kann), sondern man | ||||||
03 | muß sie als zur Thätigkeit vernünftiger und mit einem Willen begabter Wesen | ||||||
04 | überhaupt gehörig beweisen. Ich sage nun: Ein jedes Wesen, das nicht | ||||||
05 | anders als unter der Idee der Freiheit handeln kann, ist eben darum | ||||||
06 | in praktischer Rücksicht wirklich frei, d. i. es gelten für dasselbe alle Gesetze, | ||||||
07 | die mit der Freiheit unzertrennlich verbunden sind, eben so als ob sein | ||||||
08 | Wille auch an sich selbst und in der theoretischen Philosophie gültig für | ||||||
09 | frei erklärt würde*). Nun behaupte ich: daß wir jedem vernünftigen Wesen, | ||||||
10 | das einen Willen hat, nothwendig auch die Idee der Freiheit leihen müssen, | ||||||
11 | unter der es allein handle. Denn in einem solchen Wesen denken wir uns | ||||||
12 | eine Vernunft, die praktisch ist, d. i. Causalität in Ansehung ihrer Objecte | ||||||
13 | hat. Nun kann man sich unmöglich eine Vernunft denken, die mit | ||||||
14 | ihrem eigenen Bewußtsein in Ansehung ihrer Urtheile anderwärts her eine | ||||||
15 | Lenkung empfinge, denn alsdann würde das Subject nicht seiner Vernunft, | ||||||
16 | sondern einem Antriebe die Bestimmung der Urtheilskraft zuschreiben. | ||||||
17 | Sie muß sich selbst als Urheberin ihrer Principien ansehen unabhängig | ||||||
18 | von fremden Einflüssen, folglich muß sie als praktische Vernunft, oder als | ||||||
19 | Wille eines vernünftigen Wesens von ihr selbst als frei angesehen werden; | ||||||
20 | d. i. der Wille desselben kann nur unter der Idee der Freiheit ein eigener | ||||||
21 | Wille sein und muß also in praktischer Absicht allen vernünftigen Wesen | ||||||
22 | beigelegt werden. | ||||||
23 | Von dem Interesse, welches den Ideen der Sittlichkeit |
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24 | anhängt. |
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25 | Wir haben den bestimmten Begriff der Sittlichkeit auf die Idee der | ||||||
26 | Freiheit zuletzt zurückgeführt; diese aber könnten wir als etwas Wirkliches | ||||||
27 | nicht einmal in uns selbst und in der menschlichen Natur beweisen; wir | ||||||
*) Diesen Weg, die Freiheit nur als von vernünftigen Wesen bei ihren Handlungen bloß in der Idee zum Grunde gelegt zu unserer Absicht hinreichend anzunehmen, schlage ich deswegen ein, damit ich mich nicht verbindlich machen dürfte, die Freiheit auch in ihrer theoretischen Absicht zu beweisen. Denn wenn dieses letztere auch unausgemacht gelassen wird, so gelten doch dieselben Gesetze für ein Wesen, das nicht anders als unter der Idee seiner eigenen Freiheit handeln kann, die ein Wesen, das wirklich frei wäre, verbinden würden. Wir können uns hier also von der Last befreien, die die Theorie drückt. | |||||||
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