Kant: AA IV, Grundlegung zur Metaphysik der ... , Seite 424 |
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01 | Princip klar in die Augen fällt. Man muß wollen können, | ||||||
02 | daß eine Maxime unserer Handlung ein allgemeines Gesetz werde: dies | ||||||
03 | ist der Kanon der moralischen Beurtheilung derselben überhaupt. Einige | ||||||
04 | Handlungen sind so beschaffen, daß ihre Maxime ohne Widerspruch nicht | ||||||
05 | einmal als allgemeines Naturgesetz gedacht werden kann; weit gefehlt, | ||||||
06 | daß man noch wollen könne, es sollte ein solches werden. Bei andern | ||||||
07 | ist zwar jene innere Unmöglichkeit nicht anzutreffen, aber es ist doch unmöglich, | ||||||
08 | zu wollen, daß ihre Maxime zur Allgemeinheit eines Naturgesetzes | ||||||
09 | erhoben werde, weil ein solcher Wille sich selbst widersprechen | ||||||
10 | würde. Man sieht leicht: daß die erstere der strengen oder engeren (unnachlaßlichen) | ||||||
11 | Pflicht, die zweite nur der weiteren (verdienstlichen) Pflicht | ||||||
12 | widerstreite, und so alle Pflichten, was die Art der Verbindlichkeit (nicht | ||||||
13 | das Object ihrer Handlung) betrifft, durch diese Beispiele in ihrer Abhängigkeit | ||||||
14 | von dem einigen Princip vollständig aufgestellt worden. | ||||||
15 | Wenn wir nun auf uns selbst bei jeder Übertretung einer Pflicht Acht | ||||||
16 | haben, so finden wir, daß wir wirklich nicht wollen, es solle unsere Maxime | ||||||
17 | ein allgemeines Gesetz werden, denn das ist uns unmöglich, sondern das | ||||||
18 | Gegentheil derselben soll vielmehr allgemein ein Gesetz bleiben; nur nehmen | ||||||
19 | wir uns die Freiheit, für uns oder (auch nur für diesesmal) zum | ||||||
20 | Vortheil unserer Neigung davon eine Ausnahme zu machen. Folglich | ||||||
21 | wenn wir alles aus einem und demselben Gesichtspunkte, nämlich der | ||||||
22 | Vernunft, erwögen, so würden wir einen Widerspruch in unserm eigenen | ||||||
23 | Willen antreffen, nämlich daß ein gewisses Princip objectiv als allgemeines | ||||||
24 | Gesetz nothwendig sei und doch subjectiv nicht allgemein gelten, | ||||||
25 | sondern Ausnahmen verstatten sollte. Da wir aber einmal unsere Handlung | ||||||
26 | aus dem Gesichtspunkte eines ganz der Vernunft gemäßen, dann | ||||||
27 | aber auch eben dieselbe Handlung aus dem Gesichtspunkte eines durch | ||||||
28 | Neigung afficirten Willens betrachten, so ist wirklich hier kein Widerspruch, | ||||||
29 | wohl aber ein Widerstand der Neigung gegen die Vorschrift der | ||||||
30 | Vernunft ( antagonismus ), wodurch die Allgemeinheit des Princips ( universalitas ) | ||||||
31 | in eine bloße Gemeingültigkeit ( generalitas ) verwandelt wird, | ||||||
32 | dadurch das praktische Vernunftprincip mit der Maxime auf dem halben | ||||||
33 | Wege zusammenkommen soll. Ob nun dieses gleich in unserm eigenen | ||||||
34 | unparteiisch angestellten Urtheile nicht gerechtfertigt werden kann, so beweiset | ||||||
35 | es doch, daß wir die Gültigkeit des kategorischen Imperativs wirklich | ||||||
36 | anerkennen und uns (mit aller Achtung für denselben) nur einige, wie | ||||||
37 | es uns scheint, unerhebliche und uns abgedrungene Ausnahmen erlauben. | ||||||
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