Kant: AA IV, Grundlegung zur Metaphysik der ... , Seite 415 |
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01 | Falle ist er ein problematisch=, im zweiten ein assertorisch=praktisches Princip. | ||||||
02 | Der kategorische Imperativ, der die Handlung ohne Beziehung auf | ||||||
03 | irgend eine Absicht, d. i. auch ohne irgend einen andern Zweck, für sich | ||||||
04 | als objectiv nothwendig erklärt, gilt als ein apodiktisch=praktisches | ||||||
05 | Princip. | ||||||
06 | Man kann sich das, was nur durch Kräfte irgend eines vernünftigen | ||||||
07 | Wesens möglich ist, auch für irgend einen Willen als mögliche Absicht denken, | ||||||
08 | und daher sind der Principien der Handlung, so fern diese als nothwendig | ||||||
09 | vorgestellt wird, um irgend eine dadurch zu bewirkende mögliche | ||||||
10 | Absicht zu erreichen, in der That unendlich viel. Alle Wissenschaften haben | ||||||
11 | irgend einen praktischen Theil, der aus Aufgaben besteht, daß irgend ein | ||||||
12 | Zweck für uns möglich sei, und aus Imperativen, wie er erreicht werden | ||||||
13 | könne. Diese können daher überhaupt Imperativen der Geschicklichkeit | ||||||
14 | heißen. Ob der Zweck vernünftig und gut sei, davon ist hier gar nicht die | ||||||
15 | Frage, sondern nur was man thun müsse, um ihn zu erreichen. Die Vorschriften | ||||||
16 | für den Arzt, um seinen Mann auf gründliche Art gesund zu machen, | ||||||
17 | und für einen Giftmischer, um ihn sicher zu tödten, sind in so fern | ||||||
18 | von gleichem Werth, als eine jede dazu dient, ihre Absicht vollkommen zu | ||||||
19 | bewirken. Weil man in der frühen Jugend nicht weiß, welche Zwecke uns | ||||||
20 | im Leben aufstoßen dürften, so suchen Eltern vornehmlich ihre Kinder recht | ||||||
21 | vielerlei lernen zu lassen und sorgen für die Geschicklichkeit im Gebrauch | ||||||
22 | der Mittel zu allerlei beliebigen Zwecken, von deren keinem sie | ||||||
23 | bestimmen können, ob er etwa wirklich künftig eine Absicht ihres Zöglings | ||||||
24 | werden könne, wovon es indessen doch möglich ist, daß er sie | ||||||
25 | einmal haben möchte, und diese Sorgfalt ist so groß, daß sie darüber gemeiniglich | ||||||
26 | verabsäumen, ihnen das Urtheil über den Werth der Dinge, | ||||||
27 | die sie sich etwa zu Zwecken machen möchten, zu bilden und zu berichtigen. | ||||||
28 | Es ist gleichwohl ein Zweck, den man bei allen vernünftigen Wesen | ||||||
29 | (so fern Imperative auf sie, nämlich als abhängige Wesen, passen) als | ||||||
30 | wirklich voraussetzen kann, und also eine Absicht, die sie nicht etwa bloß | ||||||
31 | haben können, sondern von der man sicher voraussetzen kann, daß sie | ||||||
32 | solche insgesammt nach einer Naturnothwendigkeit haben, und das ist die | ||||||
33 | Absicht auf Glückseligkeit. Der hypothetische Imperativ, der die praktische | ||||||
34 | Nothwendigkeit der Handlung als Mittel zur Beförderung der Glückseligkeit | ||||||
35 | vorstellt, ist assertorisch. Man darf ihn nicht bloß als nothwendig | ||||||
36 | zu einer ungewissen, bloß möglichen Absicht vortragen, sondern zu einer | ||||||
37 | Absicht, die man sicher und a priori bei jedem Menschen voraussetzen kann, | ||||||
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