Kant: AA IV, Prolegomena zu einer jeden ... , Seite 337

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 Gesetzmäßigkeit als ein Kriterium der Wahrheit der erstern von der Regellosigkeit      
  02 und dem falschen Schein des letztern. Er setzt in beiden Raum      
  03 und Zeit als Bedingungen des Daseins der Gegenstände voraus und frägt      
  04 nur, ob die Gegenstände äußerer Sinne wirklich im Raum anzutreffen      
  05 seien, die wir darin im Wachen setzen, so wie der Gegenstand des innern      
  06 Sinnes, die Seele, wirklich in der Zeit ist, d. i. ob Erfahrung sichere Kriterien      
  07 der Unterscheidung von Einbildung bei sich führe. Hier läßt sich der      
  08 Zweifel nun leicht heben, und wir heben ihn auch jederzeit im gemeinen      
  09 Leben dadurch, daß wir die Verknüpfung der Erscheinungen in beiden nach      
  10 allgemeinen Gesetzen der Erfahrung untersuchen, und können, wenn die      
  11 Vorstellung äußerer Dinge damit durchgehends übereinstimmt, nicht zweifeln,      
  12 daß sie nicht wahrhafte Erfahrung ausmachen sollten. Der materiale      
  13 Idealism, da Erscheinungen als Erscheinungen nur nach ihrer Verknüpfung      
  14 in der Erfahrung betrachtet werden, läßt also sich sehr leicht      
  15 heben; und es ist eine eben so sichere Erfahrung, daß Körper außer uns      
  16 (im Raume) existiren, als daß ich selbst nach der Vorstellung des innern      
  17 Sinnes (in der Zeit) da bin. Denn der Begriff: außer uns, bedeutet      
  18 nur die Existenz im Raume. Da aber das Ich in dem Satze: Ich bin,      
  19 nicht blos den Gegenstand der innern Anschauung (in der Zeit), sondern      
  20 das Subject des Bewußtseins, so wie Körper nicht blos die äußere Anschauung      
  21 (im Raume), sondern auch das Ding an sich selbst bedeutet,      
  22 was dieser Erscheinung zum Grunde liegt: so kann die Frage, ob die      
  23 Körper (als Erscheinungen des äußern Sinnes) außer meinen Gedanken      
  24 als Körper existiren, ohne alles Bedenken in der Natur verneint werden;      
  25 aber darin verhält es sich gar nicht anders mit der Frage, ob ich selbst      
  26 als Erscheinung des innern Sinnes (Seele nach der empirischen      
  27 Psychologie) außer meiner Vorstellungskraft in der Zeit existire, denn diese      
  28 muß eben so wohl verneint werden. Auf solche Weise ist alles, wenn es      
  29 auf seine wahre Bedeutung gebracht wird, entschieden und gewiß. Der      
  30 formale Idealism (sonst von mir transscendentale genannt) hebt wirklich      
  31 den materiellen oder Cartesianischen auf. Denn wenn der Raum nichts      
  32 als eine Form meiner Sinnlichkeit ist, so ist er als Vorstellung in mir      
  33 eben so wirklich als ich selbst, und es kommt nur noch auf die empirische      
  34 Wahrheit der Erscheinungen in demselben an. Ist das aber nicht, sondern      
  35 der Raum und Erscheinungen in ihm sind etwas außer uns Existirendes,      
  36 so können alle Kriterien der Erfahrung außer unserer Wahrnehmung niemals      
  37 die Wirklichkeit dieser Gegenstände außer uns beweisen.      
           
           
     

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