Kant: AA IV, Prolegomena zu einer jeden ... , Seite 323 |
|||||||
Zeile:
|
Text (Kant):
|
|
|
||||
01 | Form der Verknüpfung ausmachen, setzte kein größeres Nachdenken oder | ||||||
02 | mehr Einsicht voraus, als aus einer Sprache Regeln des wirklichen Gebrauchs | ||||||
03 | der Wörter überhaupt heraussuchen und so Elemente zu einer | ||||||
04 | Grammatik zusammentragen (in der That sind beide Untersuchungen einander | ||||||
05 | auch sehr nahe verwandt), ohne doch eben Grund angeben zu können, | ||||||
06 | warum eine jede Sprache gerade diese und keine andere formale Beschaffenheit | ||||||
07 | habe, noch weniger aber, daß gerade so viel, nicht mehr noch weniger, | ||||||
08 | solcher formalen Bestimmungen derselben überhaupt angetroffen werden | ||||||
09 | können. | ||||||
10 | Aristoteles hatte zehn solcher reinen Elementarbegriffe unter dem | ||||||
11 | Namen der Kategorien*) zusammengetragen. Diesen, welche auch Prädicamente | ||||||
12 | genannt wurden, sah er sich hernach genöthigt, noch fünf Postprädicamente | ||||||
13 | beizufügen**), die doch zum Theil schon in jenen liegen (als | ||||||
14 | prius, simul, motus ); allein diese Rhapsodie konnte mehr für einen Wink | ||||||
15 | für den künftigen Nachforscher, als für eine regelmäßig ausgeführte Idee | ||||||
16 | gelten und Beifall verdienen, daher sie auch bei mehrerer Aufklärung der | ||||||
17 | Philosophie als ganz unnütz verworfen worden. | ||||||
18 | Bei einer Untersuchung der reinen (nichts empirisches enthaltenden) | ||||||
19 | Elemente der menschlichen Erkenntniß gelang es mir allererst nach langem | ||||||
20 | Nachdenken, die reinen Elementarbegriffe der Sinnlichkeit (Raum und | ||||||
21 | Zeit) von denen des Verstandes mit Zuverlässigkeit zu unterscheiden und | ||||||
22 | abzusondern. Dadurch wurden nun aus jenem Register die 7te, 8te, 9te | ||||||
23 | Kategorie ausgeschlossen. Die übrigen konnten mir zu nichts nutzen, weil | ||||||
24 | kein Princip vorhanden war, nach welchem der Verstand völlig ausgemessen | ||||||
25 | und alle Functionen desselben, daraus seine reine Begriffe entspringen, | ||||||
26 | vollzählig und mit Präcision bestimmt werden könnten. | ||||||
27 | Um aber ein solches Princip auszufinden, sah ich mich nach einer | ||||||
28 | Verstandeshandlung um, die alle übrige enthält und sich nur durch verschiedene | ||||||
29 | Modificationen oder Momente unterscheidet, das Mannigfaltige | ||||||
30 | der Vorstellung unter die Einheit des Denkens überhaupt zu bringen, und | ||||||
31 | da fand ich, diese Verstandeshandlung bestehe im Urtheilen. Hier lag nun | ||||||
32 | schon fertige, obgleich noch nicht ganz von Mängeln freie Arbeit der Logiker | ||||||
33 | vor mir, dadurch ich in den Stand gesetzt wurde, eine vollständige Tafel | ||||||
34 | reiner Verstandesfunctionen, die aber in Ansehung alles Objects unbestimmt | ||||||
*) 1. Substantia. 2. Qualitas. 3. Quantitas. 4. Relatio. 5. Actio . 6. Passio. 7. Quando. 8. Ubi. 9. Situs. 10. Habitus. | |||||||
**) Oppositum, Prius, Simul, Motus, Habere. | |||||||
[ Seite 322 ] [ Seite 324 ] [ Inhaltsverzeichnis ] |