Kant: AA IV, Prolegomena zu einer jeden ... , Seite 315

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 Art, wie unsre Sinnen von diesem unbekannten Etwas afficirt werden,      
  02 kennen. Der Verstand also, eben dadurch daß er Erscheinungen annimmt,      
  03 gesteht auch das Dasein von Dingen an sich selbst zu, und so fern können      
  04 wir sagen, daß die Vorstellung solcher Wesen, die den Erscheinungen zum      
  05 Grunde liegen, mithin bloßer Verstandeswesen nicht allein zulässig, sondern      
  06 auch unvermeidlich sei.      
           
  07 Unsere kritische Deduction schließt dergleichen Dinge ( noumena ) auch      
  08 keinesweges aus, sondern schränkt vielmehr die Grundsätze der Ästhetik dahin      
  09 ein, daß sie sich ja nicht auf alle Dinge erstrecken sollen, wodurch alles      
  10 in bloße Erscheinung verwandelt werden würde, sondern daß sie nur von      
  11 Gegenständen einer möglichen Erfahrung gelten sollen. Also werden hiedurch      
  12 Verstandeswesen zugelassen, nur mit Einschärfung dieser Regel, die      
  13 gar keine Ausnahme leidet: daß wir von diesen reinen Verstandeswesen      
  14 ganz und gar nichts Bestimmtes wissen, noch wissen können, weil unsere      
  15 reine Verstandesbegriffe sowohl als reine Anschauungen auf nichts als      
  16 Gegenstände möglicher Erfahrung, mithin auf bloße Sinnenwesen gehen,      
  17 und, so bald man von diesen abgeht, jenen Begriffen nicht die mindeste      
  18 Bedeutung mehr übrig bleibt.      
           
  19
§ 33.
     
           
  20 Es ist in der That mit unseren reinen Verstandesbegriffen etwas      
  21 Verfängliches in Ansehung der Anlockung zu einem transscendenten      
  22 Gebrauch; denn so nenne ich denjenigen, der über alle mögliche Erfahrung      
  23 hinausgeht. Nicht allein daß unsere Begriffe der Substanz, der      
  24 Kraft, der Handlung, der Realität etc. ganz von der Erfahrung unabhängig      
  25 sind, imgleichen gar keine Erscheinung der Sinne enthalten, also      
  26 in der That auf Dinge an sich selbst ( noumena ) zu gehen scheinen, sondern      
  27 was diese Vermuthung noch bestärkt, sie enthalten eine Nothwendigkeit der      
  28 Bestimmung in sich, der die Erfahrung niemals gleich kommt. Der Begriff      
  29 der Ursache enthält eine Regel, nach der aus einem Zustande ein anderer      
  30 nothwendiger Weise folgt; aber die Erfahrung kann uns nur zeigen,      
  31 daß oft, und wenn es hoch kommt, gemeiniglich auf einen Zustand der      
  32 Dinge ein anderer folge, und kann also weder strenge Allgemeinheit, noch      
  33 Nothwendigkeit verschaffen etc.      
           
  34 Daher scheinen Verstandesbegriffe viel mehr Bedeutung und Inhalt      
  35 zu haben, als daß der bloße Erfahrungsgebrauch ihre ganze Bestimmung      
  36 erschöpfte, und so baut sich der Verstand unvermerkt an das Haus der Erfahrung      
           
     

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