Kant: AA IV, Prolegomena zu einer jeden ... , Seite 293

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 einschränke, daß sie in gar keinem Stücke, selbst nicht in den reinen Anschauungen      
  02 von Raum und Zeit etwas mehr als blos Erscheinung jener      
  03 Sachen, niemals aber die Beschaffenheit derselben an ihnen selbst vorstelle,      
  04 so ist dies kein der Natur von mir angedichteter durchgängiger Schein;      
  05 und meine Protestation wider alle Zumuthung eines Idealisms ist so bündig      
  06 und einleuchtend, daß sie sogar überflüssig scheinen würde, wenn es      
  07 nicht unbefugte Richter gäbe, die, indem sie für jede Abweichung von ihrer      
  08 verkehrten, obgleich gemeinen Meinung gerne einen alten Namen haben      
  09 möchten und niemals über den Geist der philosophischen Benennungen urtheilen,      
  10 sondern blos am Buchstaben hingen, bereit ständen, ihren eigenen      
  11 Wahn an die Stelle wohl bestimmter Begriffe zu setzen und diese dadurch      
  12 zu verdrehen und zu verunstalten. Denn daß ich selbst dieser meiner Theorie      
  13 den Namen eines transscendentalen Idealisms gegeben habe, kann      
  14 keinen berechtigen, ihn mit dem empirischen Idealism des Cartes (wiewohl      
  15 dieser nur eine Aufgabe war, wegen deren Unauflöslichkeit es nach      
  16 Cartesens Meinung jedermann frei stand, die Existenz der körperlichen      
  17 Welt zu verneinen, weil sie niemals gnugthuend beantwortet werden könnte)      
  18 oder mit dem mystischen und schwärmerischen des Berkeley (wowider      
  19 und andre ähnliche Hirngespinste unsre Kritik vielmehr das eigentliche Gegenmittel      
  20 enthält) zu verwechseln. Denn dieser von mir sogenannte Idealism      
  21 betraf nicht die Existenz der Sachen (die Bezweiflung derselben      
  22 aber macht eigentlich den Idealism in recipirter Bedeutung aus), denn      
  23 die zu bezweifeln, ist mir niemals in den Sinn gekommen, sondern blos      
  24 die sinnliche Vorstellung der Sachen, dazu Raum und Zeit zu oberst gehören,      
  25 und von diesen, mithin überhaupt von allen Erscheinungen habe      
  26 ich nur gezeigt: daß sie nicht Sachen (sondern bloße Vorstellungsarten),      
  27 auch nicht den Sachen an sich selbst angehörige Bestimmungen sind. Das      
  28 Wort transscendental aber, welches bei mir niemals eine Beziehung unserer      
  29 Erkenntniß auf Dinge, sondern nur aufs Erkenntnißvermögen      
  30 bedeutet, sollte diese Mißdeutung verhüten. Ehe sie aber dieselbe doch noch      
  31 fernerhin veranlasse, nehme ich diese Benennung lieber zurück und will ihn      
  32 den kritischen genannt wissen. Wenn es aber ein in der That verwerflicher      
  33 Idealism ist, wirkliche Sachen (nicht Erscheinungen) in bloße Vorstellungen      
  34 zu verwandeln: mit welchem Namen will man denjenigen benennen,      
  35 der umgekehrt bloße Vorstellungen zu Sachen macht? Ich denke, man      
  36 könne ihn den träumenden Idealism nennen zum Unterschiede von dem      
  37 vorigen, der der schwärmende heißen mag, welche beide durch meinen sonst      
           
     

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