Kant: AA IV, Prolegomena zu einer jeden ... , Seite 258 |
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01 | der Einbildungskraft sei, die, durch Erfahrung beschwängert, gewisse Vorstellungen | ||||||
02 | unter das Gesetz der Association gebracht hat und eine daraus | ||||||
03 | entspringende subjective Nothwendigkeit, d. i. Gewohnheit, für eine objective, | ||||||
04 | aus Einsicht, unterschiebt. Hieraus schloß er: die Vernunft habe | ||||||
05 | gar kein Vermögen, solche Verknüpfungen auch selbst nur im Allgemeinen | ||||||
06 | zu denken, weil ihre Begriffe alsdann bloße Erdichtungen sein würden; | ||||||
07 | und alle ihre vorgeblich a priori bestehende Erkenntnisse wären nichts als | ||||||
08 | falsch gestempelte gemeine Erfahrungen, welches eben so viel sagt, als: | ||||||
09 | es gebe überall keine Metaphysik und könne auch keine geben.*) | ||||||
10 | So übereilt und unrichtig auch seine Folgerung war, so war sie doch | ||||||
11 | wenigstens auf Untersuchung gegründet; und diese Untersuchung war es | ||||||
12 | wohl werth, daß sich die guten Köpfe seiner Zeit vereinigt hätten, die Aufgabe | ||||||
13 | in dem Sinne, wie er sie vortrug, wo möglich glücklicher aufzulösen, | ||||||
14 | woraus denn bald eine gänzliche Reform der Wissenschaft hätte entspringen | ||||||
15 | müssen. | ||||||
16 | Allein das der Metaphysik von je her ungünstige Schicksal wollte, | ||||||
17 | daß er von keinem verstanden wurde. Man kann es, ohne eine gewisse | ||||||
18 | Pein zu empfinden, nicht ansehen, wie so ganz und gar seine Gegner Reid, | ||||||
19 | Oswald, Beattie und zuletzt noch Priestley den Punkt seiner Aufgabe | ||||||
20 | verfehlten und, indem sie immer das als zugestanden annahmen, was er | ||||||
21 | eben bezweifelte, dagegen aber mit Heftigkeit und mehrentheils mit großer | ||||||
22 | Unbescheidenheit dasjenige bewiesen, was ihm niemals zu bezweifeln in | ||||||
23 | den Sinn gekommen war, seinen Wink zur Verbesserung so verkannten, | ||||||
24 | daß alles in dem alten Zustande blieb, als ob nichts geschehen wäre. Es | ||||||
25 | war nicht die Frage, ob der Begriff der Ursache richtig, brauchbar und in | ||||||
26 | Ansehung der ganzen Naturerkenntniß unentbehrlich sei, denn dieses hatte | ||||||
27 | Hume niemals in Zweifel gezogen; sondern ob er durch die Vernunft | ||||||
*) Gleichwohl nannte Hume eben diese zerstörende Philosophie selbst Metaphysik und legte ihr einen hohen Werth bei. "Metaphysik und Moral", sagt er (Versuche 4ter Theil, Seite 214, deutsche Übers.), "sind die wichtigsten Zweige der Wissenschaft; Mathematik und Naturwissenschaft sind nicht halb so viel Werth." Der scharfsinnige Mann sah aber hier blos auf den negativen Nutzen, den die Mäßigung der übertriebenen Ansprüche der speculativen Vernunft haben würde, um so viel endlose und verfolgende Streitigkeiten, die das Menschengeschlecht verwirren, gänzlich aufzuheben; aber er verlor darüber den positiven Schaden aus den Augen, der daraus entspringt, wenn der Vernunft die wichtigsten Aussichten genommen werden, nach denen allein sie dem Willen das höchste Ziel aller seiner Bestrebungen ausstecken kann. | |||||||
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