Kant: AA IV, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 185 |
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01 | werden kann, nämlich: daß, weil die sinnliche Anschauung nicht | ||||||
02 | auf alle Dinge ohne Unterschied geht, für mehr und andere Gegenstände | ||||||
03 | Platz übrig bleibe, sie also nicht schlechthin abgeläugnet, in Ermangelung | ||||||
04 | eines bestimmten Begriffs aber (da keine Kategorie dazu tauglich ist) auch | ||||||
05 | nicht als Gegenstände für unsern Verstand behauptet werden können. | ||||||
06 | Der Verstand begränzt demnach die Sinnlichkeit, ohne darum sein | ||||||
07 | eigenes Feld zu erweitern, und indem er jene warnt, daß sie sich nicht anmaße, | ||||||
08 | auf Dinge an sich selbst zu gehen, sondern lediglich auf Erscheinungen, | ||||||
09 | so denkt er sich einen Gegenstand an sich selbst, aber nur als transscendentales | ||||||
10 | Object, das die Ursache der Erscheinung (mithin selbst nicht | ||||||
11 | Erscheinung) ist und weder als Größe, noch als Realität, noch als Substanz | ||||||
12 | etc. gedacht werden kann (weil diese Begriffe immer sinnliche Formen | ||||||
13 | erfordern, in denen sie einen Gegenstand bestimmen), wovon also völlig unbekannt | ||||||
14 | ist, ob es in uns oder auch außer uns anzutreffen sei, ob es mit der | ||||||
15 | Sinnlichkeit zugleich aufgehoben werden oder, wenn wir jene wegnehmen, | ||||||
16 | noch übrig bleiben würde. Wollen wir dieses Object Noumenon nennen, | ||||||
17 | darum weil die Vorstellung von ihm nicht sinnlich ist, so steht dieses uns | ||||||
18 | frei. Da wir aber keine von unseren Verstandesbegriffen darauf anwenden | ||||||
19 | können, so bleibt diese Vorstellung doch für uns leer und dient zu nichts, | ||||||
20 | als die Gränzen unserer sinnlichen Erkenntniß zu bezeichnen und einen | ||||||
21 | Raum übrig zu lassen, den wir weder durch mögliche Erfahrung, noch | ||||||
22 | durch den reinen Verstand ausfüllen können. | ||||||
23 | Die Kritik dieses reinen Verstandes erlaubt es also nicht, sich ein | ||||||
24 | neues Feld von Gegenständen außer denen, die ihm als Erscheinungen vorkommen | ||||||
25 | können, zu schaffen und in intelligibele Welten, sogar nicht einmal | ||||||
26 | in ihren Begriff auszuschweifen. Der Fehler, welcher hiezu auf die | ||||||
27 | allerscheinbarste Art verleitet und allerdings entschuldigt, obgleich nicht gerechtfertigt | ||||||
28 | werden kann, liegt darin: daß der Gebrauch des Verstandes | ||||||
29 | wider seine Bestimmung transscendental gemacht, und die Gegenstände, | ||||||
30 | d. i. mögliche Anschauungen, sich nach Begriffen, nicht aber Begriffe sich | ||||||
31 | nach möglichen Anschauungen (als auf denen allein ihre objective Gültigkeit | ||||||
32 | beruht) richten müssen. Die Ursache hievon aber ist wiederum, daß | ||||||
33 | die Apperception und mit ihr das Denken vor aller möglichen bestimmten | ||||||
34 | Anordnung der Vorstellungen vorhergeht. Wir denken also Etwas überhaupt | ||||||
35 | und bestimmen es einerseits sinnlich, allein unterscheiden doch den | ||||||
36 | allgemeinen und in abstracto vorgestellten Gegenstand von dieser Art ihn | ||||||
37 | anzuschauen; da bleibt uns nun eine Art, ihn blos durch Denken zu bestimmen, | ||||||
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