Kant: AA IV, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 181 |
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01 | von großem Nutzen, die Gränzen des Verstandes zuverlässig zu bestimmen | ||||||
02 | und zu sichern. | ||||||
03 | Man muß zwar sagen: was einem Begriff allgemein zukommt oder | ||||||
04 | widerspricht, das kommt auch zu oder widerspricht allem Besondern, was | ||||||
05 | unter jenem Begriff enthalten ist ( dictum de Omni et Nullo ); es wäre | ||||||
06 | aber ungereimt, diesen logischen Grundsatz dahin zu verändern, daß er so | ||||||
07 | lautete: was in einem allgemeinen Begriffe nicht enthalten ist, das ist auch | ||||||
08 | in den besonderen nicht enthalten, die unter demselben stehen; denn diese | ||||||
09 | sind eben darum besondere Begriffe, weil sie mehr in sich enthalten, als | ||||||
10 | im allgemeinen gedacht wird. Nun ist doch wirklich auf diesen letzteren | ||||||
11 | Grundsatz das ganze intellectuelle System Leibnizens erbauet: es fällt | ||||||
12 | also zugleich mit demselben sammt aller aus ihm entspringenden Zweideutigkeit | ||||||
13 | im Verstandesgebrauche. | ||||||
14 | Der Satz des Nichtzuunterscheidenden gründete sich eigentlich auf der | ||||||
15 | Voraussetzung, daß, wenn in dem Begriffe von einem Dinge überhaupt eine | ||||||
16 | gewisse Unterscheidung nicht angetroffen wird, so sei sie auch nicht in den | ||||||
17 | Dingen selbst anzutreffen; folglich seien alle Dinge völlig einerlei ( numero | ||||||
18 | eadem ), die sich nicht schon in ihrem Begriffe (der Qualität oder Quantität | ||||||
19 | nach) von einander unterscheiden. Weil aber bei dem bloßen Begriffe von | ||||||
20 | irgend einem Dinge von manchen nothwendigen Bedingungen einer Anschauung | ||||||
21 | abstrahirt worden, so wird durch eine sonderbare Übereilung das, | ||||||
22 | wovon abstrahirt wird, dafür genommen, daß es überall nicht anzutreffen sei, | ||||||
23 | und dem Dinge nichts eingeräumt, als was in seinem Begriffe enthalten ist. | ||||||
24 | Der Begriff von einem Kubikfuße Raum, ich mag mir diesen denken, | ||||||
25 | wo und wie oft ich wolle, ist an sich völlig einerlei. Allein zwei Kubikfüße | ||||||
26 | sind im Raume dennoch blos durch ihre Örter unterschieden ( numero diversa ); | ||||||
27 | diese sind Bedingungen der Anschauung, worin das Object dieses | ||||||
28 | Begriffs gegeben wird, die nicht zum Begriffe, aber doch zur ganzen Sinnlichkeit | ||||||
29 | gehören. Gleichergestalt ist in dem Begriffe von einem Dinge gar | ||||||
30 | kein Widerstreit, wenn nichts Verneinendes mit einem bejahenden verbunden | ||||||
31 | worden, und blos bejahende Begriffe können in Verbindung gar | ||||||
32 | keine Aufhebung bewirken. Allein in der sinnlichen Anschauung, darin | ||||||
33 | Realtät (z. B. Bewegung) gegeben wird, finden sich Bedingungen (entgegengesetzte | ||||||
34 | Richtungen), von denen im Begriffe der Bewegung überhaupt | ||||||
35 | abstrahirt war, die einen Widerstreit, der freilich nicht logisch ist, | ||||||
36 | nämlich aus lauter Positivem ein Zero = 0, möglich machen; und man | ||||||
37 | konnte nicht sagen: daß darum alle Realität unter einander in Einstimmung | ||||||
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