Kant: AA IV, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 178 |
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| 01 | der Dinge vorstellen will, so kann dieses nur vermittelst eines Begriffs | ||||||
| 02 | ihrer wechselseitigen Wirkung geschehen; und soll ich einen Zustand eben | ||||||
| 03 | desselben Dinges mit einem andern Zustande verknüpfen, so kann dieses | ||||||
| 04 | nur in der Ordnung der Gründe und Folgen geschehen. So dachte sich | ||||||
| 05 | also Leibniz den Raum als eine gewisse Ordnung in der Gemeinschaft | ||||||
| 06 | der Substanzen und die Zeit als die dynamische Folge ihrer Zustände. | ||||||
| 07 | Das Eigenthümliche aber und von Dingen Unabhängige, was beide an | ||||||
| 08 | sich zu haben scheinen, schrieb er der Verworrenheit dieser Begriffe zu, | ||||||
| 09 | welche machte, daß dasjenige, was eine bloße Form dynamischer Verhältnisse | ||||||
| 10 | ist, für eine eigene, für sich bestehende und vor den Dingen selbst | ||||||
| 11 | vorhergehende Anschauung gehalten wird. Also waren Raum und Zeit | ||||||
| 12 | die intelligibele Form der Verknüpfung der Dinge (Substanzen und ihrer | ||||||
| 13 | Zustände) an sich selbst. Die Dinge aber waren intelligibele Substanzen | ||||||
| 14 | ( substantiae noumena ). Gleichwohl wollte er diese Begriffe für Erscheinungen | ||||||
| 15 | geltend machen, weil er der Sinnlichkeit keine eigene Art der Anschauung | ||||||
| 16 | zugestand, sondern alle, selbst die empirische Vorstellung der | ||||||
| 17 | Gegenstände im Verstande suchte und den Sinnen nichts als das verächtliche | ||||||
| 18 | Geschäfte ließ, die Vorstellungen des ersteren zu verwirren und zu | ||||||
| 19 | verunstalten. | ||||||
| 20 | Wenn wir aber auch von Dingen an sich selbst etwas durch den | ||||||
| 21 | reinen Verstand synthetisch sagen könnten (welches gleichwohl unmöglich | ||||||
| 22 | ist), so würde dieses doch gar nicht auf Erscheinungen, welche nicht Dinge | ||||||
| 23 | an sich selbst vorstellen, gezogen werden können. Ich werde also in diesem | ||||||
| 24 | letzteren Falle in der transscendentalen Überlegung meine Begriffe jederzeit | ||||||
| 25 | nur unter den Bedingungen der Sinnlichkeit vergleichen müssen, und | ||||||
| 26 | so werden Raum und Zeit nicht Bestimmungen der Dinge an sich, sondern | ||||||
| 27 | der Erscheinungen sein: was die Dinge an sich sein mögen, weiß ich | ||||||
| 28 | nicht und brauche es auch nicht zu wissen, weil mir doch niemals ein Ding | ||||||
| 29 | anders als in der Erscheinung vorkommen kann. | ||||||
| 30 | So verfahre ich auch mit den übrigen Reflexionsbegriffen. Die Materie | ||||||
| 31 | ist substantia phaenomenon . Was ihr innerlich zukomme, suche ich | ||||||
| 32 | in allen Theilen des Raumes, den sie einnimmt, und in allen Wirkungen, | ||||||
| 33 | die sie ausübt, und die freilich nur immer Erscheinungen äußerer Sinne | ||||||
| 34 | sein können. Ich habe also zwar nichts Schlechthin=, sondern lauter Comparativ | ||||||
| 35 | Innerliches, das selber wiederum aus äußeren Verhältnissen besteht. | ||||||
| 36 | Allein das schlechthin, dem reinen Verstande nach, Innerliche der | ||||||
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