Kant: AA IV, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 166

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 zusammenhängt, dessen objective Realität aber auf keine Weise      
  02 erkannt werden kann. Der Begriff eines Noumenon, d. i. eines Dinges,      
  03 welches gar nicht als Gegenstand der Sinne, sondern als ein Ding an sich      
  04 selbst (lediglich durch einen reinen Verstand) gedacht werden soll, ist gar      
  05 nicht widersprechend; denn man kann von der Sinnlichkeit doch nicht behaupten,      
  06 daß sie die einzige mögliche Art der Anschauung sei. Ferner ist      
  07 dieser Begriff nothwendig, um die sinnliche Anschauung nicht bis über die      
  08 Dinge an sich selbst auszudehnen, und also um die objective Gültigkeit der      
  09 sinnlichen Erkenntniß einzuschränken (denn das übrige, worauf jene nicht      
  10 reicht, heißen eben darum Noumena, damit man dadurch anzeige, jene      
  11 Erkenntnisse können ihr Gebiet nicht über alles, was der Verstand denkt,      
  12 erstrecken). Am Ende aber ist doch die Möglichkeit solcher Noumenorum      
  13 gar nicht einzusehen, und der Umfang außer der Sphäre der Erscheinungen      
  14 ist (für uns) leer, d. i. wir haben einen Verstand, der sich problematisch      
  15 weiter erstreckt als jene, aber keine Anschauung, ja auch nicht einmal den      
  16 Begriff von einer möglichen Anschauung, wodurch uns außer dem Felde      
  17 der Sinnlichkeit Gegenstände gegeben und der Verstand über dieselbe hinaus      
  18 assertorisch gebraucht werden könne. Der Begriff eines Noumenon      
  19 ist also blos ein Gränzbegriff, um die Anmaßung der Sinnlichkeit einzuschränken,      
  20 und also nur von negativem Gebrauche. Er ist aber gleichwohl      
  21 nicht willkürlich erdichtet, sondern hängt mit der Einschränkung der      
  22 Sinnlichkeit zusammen, ohne doch etwas Positives außer dem Umfange      
  23 derselben setzen zu können.      
           
  24 Die Eintheilung der Gegenstände in Phaenomena und Noumena und      
  25 der Welt in eine Sinnen= und Verstandeswelt kann daher gar nicht zugelassen      
  26 werden, obgleich Begriffe allerdings die Eintheilung in sinnliche      
  27 und intellectuelle zulassen; denn man kann den letzteren keinen Gegenstand      
  28 bestimmen und sie also auch nicht für objectiv gültig ausgeben. Wenn      
  29 man von den Sinnen abgeht, wie will man begreiflich machen, daß unsere      
  30 Kategorien (welche die einzig übrig bleibende Begriffe für Noumena sein      
  31 würden) noch überall etwas bedeuten, da zu ihrer Beziehung auf irgend      
  32 einen Gegenstand noch etwas mehr als blos die Einheit des Denkens,      
  33 nämlich überdem eine mögliche Anschauung, gegeben sein muß, darauf jene      
  34 angewandt werden können? Der Begriff eines Noumeni , blos problematisch      
  35 genommen, bleibt demungeachtet nicht allein zulässig, sondern auch      
  36 als ein die Sinnlichkeit in Schranken setzender Begriff unvermeidlich.      
  37 Aber alsdann ist das nicht ein besonderer intelligibeler Gegenstand      
           
     

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