Kant: AA IV, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 120 |
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| 01 | die vermeinte Nothwendigkeit jener Voraussetzung, gedachten Unterschied | ||||||
| 02 | nicht anders wie durch anzunehmende leere Räume erklären zu können, | ||||||
| 03 | völlig aufhebt und das Verdienst hat, den Verstand wenigstens in Freiheit | ||||||
| 04 | zu versetzen, sich diese Verschiedenheit auch auf andere Art zu denken, | ||||||
| 05 | wenn die Naturerklärung hiezu irgend eine Hypothese nothwendig machen | ||||||
| 06 | sollte. Denn da sehen wir, daß, obschon gleiche Räume von verschiedenen | ||||||
| 07 | Materien vollkommen erfüllt sein mögen, so daß in keinem von jenen | ||||||
| 08 | ein Punkt ist, in welchem nicht ihre Gegenwart anzutreffen wäre, so habe | ||||||
| 09 | doch jedes Reale bei derselben Qualität ihren Grad (des Widerstandes | ||||||
| 10 | oder des Wiegens), welcher ohne Verminderung der extensiven Größe oder | ||||||
| 11 | Menge ins Unendliche kleiner sein kann, ehe sie in das Leere übergeht | ||||||
| 12 | und verschwindet. So kann eine Ausspannung, die einen Raum erfüllt, | ||||||
| 13 | z. B. Wärme, und auf gleiche Weise jede andere Realität (in der Erscheinung), | ||||||
| 14 | ohne im mindesten den kleinsten Theil dieses Raumes leer zu lassen, | ||||||
| 15 | in ihren Graden ins Unendliche abnehmen und nichts desto weniger | ||||||
| 16 | den Raum mit diesen kleinern Graden eben sowohl erfüllen, als eine andere | ||||||
| 17 | Erscheinung mit größeren. Meine Absicht ist hier keinesweges, zu | ||||||
| 18 | behaupten, daß dieses wirklich mit der Verschiedenheit der Materien ihrer | ||||||
| 19 | specifischen Schwere nach so bewandt sei, sondern nur, aus einem Grundsatze | ||||||
| 20 | des reinen Verstandes darzuthun, daß die Natur unserer Wahrnehmungen | ||||||
| 21 | eine solche Erklärungsart möglich mache, und daß man fälschlich | ||||||
| 22 | das Reale der Erscheinung dem Grade nach als gleich und nur der Aggregation | ||||||
| 23 | und deren extensiven Größe nach als verschieden annehme und dieses | ||||||
| 24 | sogar vorgeblicher Maßen durch einen Grundsatz des Verstandes | ||||||
| 25 | a priori behaupte. | ||||||
| 26 | Es hat gleichwohl diese Anticipation der Wahrnehmung für einen | ||||||
| 27 | der transscendentalen Überlegung gewohnten und dadurch behutsam gewordenen | ||||||
| 28 | Nachforscher immer etwas Auffallendes an sich und erregt darüber | ||||||
| 29 | einiges Bedenken, daß der Verstand einen dergleichen synthetischen Satz, | ||||||
| 30 | als der von dem Grad alles Realen in den Erscheinungen ist und mithin | ||||||
| 31 | der Möglichkeit des innern Unterschiedes der Empfindung selbst, wenn | ||||||
| 32 | man von ihrer empirischen Qualität abstrahirt, anticipiren könne, und es | ||||||
| 33 | ist also noch eine der Auflösung nicht unwürdige Frage: wie der Verstand | ||||||
| 34 | hierin synthetisch über Erscheinungen a priori aussprechen und diese sogar | ||||||
| 35 | in demjenigen, was eigentlich und blos empirisch ist, nämlich die Empfindung | ||||||
| 36 | angeht, anticipiren könne. | ||||||
| 37 | Die Qualität der Empfindung ist jederzeit blos empirisch und kann | ||||||
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