Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 548

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 als was nöthig ist, uns ein Object theils des äußeren, theils des inneren      
  02 Sinnes zu geben. Jenes geschieht durch den bloßen Begriff Materie      
  03 (undurchdringliche leblose Ausdehnung), dieses durch den Begriff eines      
  04 denkenden Wesens (in der empirischen inneren Vorstellung: Ich denke).      
  05 Übrigens müßten wir in der ganzen Metaphysik dieser Gegenstände uns      
  06 aller empirischen Principien gänzlich enthalten, die über den Begriff noch      
  07 irgend eine Erfahrung hinzusetzen möchten, um etwas über diese Gegenstände      
  08 daraus zu urtheilen.      
           
  09 Zweitens: wo bleibt denn die empirische Psychologie, welche von      
  10 jeher ihren Platz in der Metaphysik behauptet hat, und von welcher man      
  11 in unseren Zeiten so große Dinge zu Aufklärung derselben erwartet      
  12 hat, nachdem man die Hoffnung aufgab, etwas Taugliches a priori auszurichten?      
  13 Ich antworte: sie kommt dahin, wo die eigentliche (empirische)      
  14 Naturlehre hingestellt werden muß, nämlich auf die Seite der angewandten      
  15 Philosophie, zu welcher die reine Philosophie die Principien      
  16 a priori enthält, die also mit jener zwar verbunden, aber nicht vermischt      
  17 werden muß. Also muß empirische Psychologie aus der Metaphysik gänzlich      
  18 verbannt sein, und ist schon durch die Idee derselben davon gänzlich      
  19 ausgeschlossen. Gleichwohl wird man ihr nach dem Schulgebrauch doch      
  20 noch immer (obzwar nur als Episode) ein Plätzchen darin verstatten      
  21 müssen und zwar aus ökonomischen Bewegursachen, weil sie noch nicht so      
  22 reich ist, daß sie allein ein Studium ausmachen, und doch zu wichtig, als      
  23 daß man sie ganz ausstoßen, oder anderwärts anheften sollte, wo sie      
  24 noch weniger Verwandtschaft, als in der Metaphysik antreffen dürfte. Es      
  25 ist also bloß ein so lange aufgenommener Fremdling, dem man auf einige      
  26 Zeit einen Aufenthalt vergönnt, bis er in einer ausführlichen Anthropologie      
  27 (dem Pendant zu der empirischen Naturlehre) seine eigene Behausung      
  28 wird beziehen können.      
           
  29 Das ist also die allgemeine Idee der Metaphysik, welche, da man ihr      
  30 anfänglich mehr zumuthete, als billigerweise verlangt werden kann, und      
  31 sich eine zeitlang mit angenehmen Erwartungen ergötzte, zuletzt in allgemeine      
  32 Verachtung gefallen ist, da man sich in seiner Hoffnung betrogen      
  33 fand. Aus dem ganzen Verlauf unserer Kritik wird man sich hinlänglich      
  34 überzeugt haben: daß, wenn gleich Metaphysik nicht die Grundfeste der      
  35 Religion sein kann, so müsse sie doch jederzeit als die Schutzwehr derselben      
           
     

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