Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 520

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 Praktisch ist alles, was durch Freiheit möglich ist. Wenn die Bedingungen      
  02 der Ausübung unserer freien Willkür aber empirisch sind, so kann      
  03 die Vernunft dabei keinen anderen als regulativen Gebrauch haben und      
  04 nur die Einheit empirischer Gesetze zu bewirken dienen; wie z. B. in der      
  05 Lehre der Klugheit die Vereinigung aller Zwecke, die uns von unseren      
  06 Neigungen aufgegeben sind, in den einigen, die Glückseligkeit und die      
  07 Zusammenstimmung der Mittel, um dazu zu gelangen, das ganze Geschäfte      
  08 der Vernunft ausmacht, die um deswillen keine andere als pragmatische      
  09 Gesetze des freien Verhaltens zu Erreichung der uns von den      
  10 Sinnen empfohlenen Zwecke und also keine reine Gesetze, völlig a priori      
  11 bestimmt, liefern kann. Dagegen würden reine praktische Gesetze, deren      
  12 Zweck durch die Vernunft völlig a priori gegeben ist, und die nicht empirisch      
  13 bedingt, sondern schlechthin gebieten, Producte der reinen Vernunft      
  14 sein. Dergleichen aber sind die moralischen Gesetze; mithin gehören diese      
  15 allein zum praktischen Gebrauche der reinen Vernunft und erlauben einen      
  16 Kanon.      
           
  17 Die ganze Zurüstung also der Vernunft in der Bearbeitung, die      
  18 man reine Philosophie nennen kann, ist in der That nur auf die drei gedachten      
  19 Probleme gerichtet. Diese selber aber haben wiederum ihre entferntere      
  20 Absicht, nämlich was zu thun sei, wenn der Wille frei, wenn      
  21 ein Gott und eine künftige Welt ist. Da dieses nun unser Verhalten in      
  22 Beziehung auf den höchsten Zweck betrifft, so ist die letzte Absicht der weislich      
  23 uns versorgenden Natur bei der Einrichtung unserer Vernunft eigentlich      
  24 nur aufs Moralische gestellt.      
           
  25 Es ist aber Behutsamkeit nöthig, um, da wir unser Augenmerk auf      
  26 einen Gegenstand werfen, der der transscendentalen Philosophie fremd*)      
  27 ist, nicht in Episoden auszuschweifen und die Einheit des Systems zu      
  28 verletzen, andererseits auch, um, indem man von seinem neuen Stoffe zu      
  29 wenig sagt, es an Deutlichkeit oder Überzeugung nicht fehlen zu lassen.      
  30 Ich hoffe beides dadurch zu leisten, daß ich mich so nahe als möglich am      
           
    *) Alle praktische Begriffe gehen auf Gegenstände des Wohlgefallens oder Mißfallens, d. i. der Lust und Unlust, mithin wenigstens indirect auf Gegenstände unseres Gefühls. Da dieses aber keine Vorstellungskraft der Dinge ist, sondern außer der gesammten Erkenntnißkraft liegt, so gehören die Elemente unserer Urtheile, so fern sie sich auf Lust oder Unlust beziehen, mithin der praktischen, nicht in den Inbegriff der Transscendentalphilosophie, welche lediglich mit reinen Erkenntnissen a priori zu thun hat.      
           
     

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