Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 491 |
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01 | würde sehr bald zu Ende gebracht werden. So steht öfters die Lauterkeit | ||||||
02 | der Gesinnung im umgekehrten Verhältnisse der Gutartigkeit der Sache | ||||||
03 | selbst, und diese hat vielleicht mehr aufrichtige und redliche Gegner als | ||||||
04 | Vertheidiger. | ||||||
05 | Ich setze also Leser voraus, die keine gerechte Sache mit Unrecht | ||||||
06 | vertheidigt wissen wollen. In Ansehung deren ist es nun entschieden, daß | ||||||
07 | nach unseren Grundsätzen der Kritik, wenn man nicht auf dasjenige sieht, | ||||||
08 | was geschieht, sondern was billig geschehen sollte, es eigentlich gar keine | ||||||
09 | Polemik der reinen Vernunft geben müsse. Denn wie können zwei Personen | ||||||
10 | einen Streit über eine Sache führen, deren Realität keiner von beiden | ||||||
11 | in einer wirklichen, oder auch nur möglichen Erfahrung darstellen | ||||||
12 | kann, über deren Idee er allein brütet, um aus ihr etwas mehr als Idee, | ||||||
13 | nämlich die Wirklichkeit des Gegenstandes selbst, herauszubringen? Durch | ||||||
14 | welches Mittel wollen sie aus dem Streite herauskommen, da keiner von | ||||||
15 | beiden seine Sache geradezu begreiflich und gewiß machen, sondern nur | ||||||
16 | die seines Gegners angreifen und widerlegen kann? Denn dieses ist das | ||||||
17 | Schicksal aller Behauptungen der reinen Vernunft: daß, da sie über die | ||||||
18 | Bedingungen aller möglichen Erfahrung hinausgehen, außerhalb welchen | ||||||
19 | kein Document der Wahrheit irgendwo angetroffen wird, sich aber gleichwohl | ||||||
20 | der Verstandesgesetze, die bloß zum empirischen Gebrauch bestimmt | ||||||
21 | sind, ohne die sich aber kein Schritt im synthetischen Denken thun läßt, | ||||||
22 | bedienen müssen, sie dem Gegner jederzeit Blößen geben und sich gegenseitig | ||||||
23 | die Blöße ihres Gegners zu Nutze machen können. | ||||||
24 | Man kann die Kritik der reinen Vernunft als den wahren Gerichtshof | ||||||
25 | für alle Streitigkeiten derselben ansehen; denn sie ist in die letzteren, | ||||||
26 | als welche auf Objecte unmittelbar gehen, nicht mit verwickelt, sondern | ||||||
27 | ist dazu gesetzt, die Rechtsame der Vernunft überhaupt nach den Grundsätzen | ||||||
28 | ihrer ersten Institution zu bestimmen und zu beurtheilen. | ||||||
29 | Ohne dieselbe ist die Vernunft gleichsam im Stande der Natur und | ||||||
30 | kann ihre Behauptungen und Ansprüche nicht anders geltend machen | ||||||
31 | oder sichern, als durch Krieg. Die Kritik dagegen, welche alle Entscheidungen | ||||||
32 | aus den Grundregeln ihrer eigenen Einsetzung hernimmt, deren | ||||||
33 | Ansehen keiner bezweifeln kann, verschafft uns die Ruhe eines gesetzlichen | ||||||
34 | Zustandes, in welchem wir unsere Streitigkeit nicht anders führen sollen, | ||||||
35 | als durch Proceß. Was die Händel in dem ersten Zustande endigt, ist | ||||||
36 | ein Sieg, dessen sich beide Theile rühmen, auf den mehrentheils ein nur | ||||||
37 | unsicherer Friede folgt, den die Obrigkeit stiftet, welche sich ins Mittel | ||||||
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