Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 489

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 gleichsam als zum Feuerlöschen zusammen ruft, so macht ihr euch lächerlich.      
  02 Denn es ist die Rede gar nicht davon, was dem gemeinen Besten      
  03 hierunter vortheilhaft oder nachtheilig sei, sondern nur, wie weit die Vernunft      
  04 es wohl in ihrer von allem Interesse abstrahirenden Speculation      
  05 bringen könne, und ob man auf diese überhaupt etwas rechnen, oder sie      
  06 lieber gegen das Praktische gar aufgeben müsse. Anstatt also mit dem      
  07 Schwerte drein zu schlagen, so sehet vielmehr von dem sicheren Sitze der      
  08 Kritik diesem Streite geruhig zu, der für die Kämpfenden mühsam, für      
  09 euch unterhaltend und bei einem gewiß unblutigen Ausgange für eure      
  10 Einsichten ersprießlich ausfallen muß. Denn es ist sehr was Ungereimtes,      
  11 von der Vernunft Aufklärung zu erwarten und ihr doch vorher vorzuschreiben,      
  12 auf welche Seite sie nothwendig ausfallen müsse. Überdem wird      
  13 Vernunft schon von selbst durch Vernunft so wohl gebändigt und in      
  14 Schranken gehalten, daß ihr gar nicht nöthig habt, Scharwachen aufzubieten,      
  15 um demjenigen Theile, dessen besorgliche Obermacht euch gefährlich      
  16 scheint, bürgerlichen Widerstand entgegen zu setzen. In dieser Dialektik      
  17 giebts keinen Sieg, über den ihr besorgt zu sein Ursache hättet.      
           
  18 Auch bedarf die Vernunft gar sehr eines solchen Streits, und es wäre      
  19 zu wünschen, daß er eher und mit uneingeschränkter öffentlicher Erlaubniß      
  20 wäre geführt worden. Denn um desto früher wäre eine reife Kritik zu      
  21 Stande gekommen, bei deren Erscheinung alle diese Streithändel von selbst      
  22 wegfallen müssen, indem die Streitenden ihre Verblendung und Vorurtheile,      
  23 welche sie veruneinigt haben, einsehen lernen.      
           
  24 Es giebt eine gewisse Unlauterkeit in der menschlichen Natur, die am      
  25 Ende doch wie alles, was von der Natur kommt, eine Anlage zu guten      
  26 Zwecken enthalten muß, nämlich eine Neigung, seine wahre Gesinnungen      
  27 zu verhehlen und gewisse angenommene, die man für gut und rühmlich      
  28 hält, zur Schau zu tragen. Ganz gewiß haben die Menschen durch diesen      
  29 Hang, sowohl sich zu verhehlen, als auch einen ihnen vortheilhaften Schein      
  30 anzunehmen, sich nicht bloß civilisirt, sondern nach und nach in gewisser      
  31 Maße moralisirt, weil keiner durch die Schminke der Anständigkeit,      
  32 Ehrbarkeit und Sittsamkeit durchdringen konnte, also an vermeintlich ächten      
  33 Beispielen des Guten, die er um sich sah, eine Schule der Besserung      
  34 für sich selbst fand. Allein diese Anlage, sich besser zu stellen, als man ist,      
  35 und Gesinnungen zu äußern, die man nicht hat, dient nur gleichsam provisorisch      
  36 dazu, um den Menschen aus der Rohigkeit zu bringen und ihn      
  37 zuerst wenigstens die Manier des Guten, das er kennt, annehmen zu      
           
     

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