Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 435 |
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| 01 | dennoch dem Verstande auferlegt, unter jeder Art, die uns vorkommt, Unterarten | ||||||
| 02 | und zu jeder Verschiedenheit kleinere Verschiedenheiten zu suchen. | ||||||
| 03 | Denn würde es keine niedere Begriffe geben, so gäbe es auch keine höhere. | ||||||
| 04 | Nun erkennt der Verstand alles nur durch Begriffe: folglich, so weit er in | ||||||
| 05 | der Eintheilung reicht, niemals durch bloße Anschauung, sondern immer | ||||||
| 06 | wiederum durch niedere Begriffe. Die Erkenntniß der Erscheinungen in | ||||||
| 07 | ihrer durchgängigen Bestimmung (welche nur durch Verstand möglich ist) | ||||||
| 08 | fordert eine unaufhörlich fortzusetzende Specification seiner Begriffe und | ||||||
| 09 | einen Fortgang zu immer noch bleibenden Verschiedenheiten, wovon in | ||||||
| 10 | dem Begriffe der Art und noch mehr dem der Gattung abstrahirt worden. | ||||||
| 11 | Auch kann dieses Gesetz der Specification nicht von der Erfahrung | ||||||
| 12 | entlehnt sein; denn diese kann keine so weit gehende Eröffnungen geben. | ||||||
| 13 | Die empirische Specification bleibt in der Unterscheidung des Mannigfaltigen | ||||||
| 14 | bald stehen, wenn sie nicht durch das schon vorhergehende transscendentale | ||||||
| 15 | Gesetz der Specification als ein Princip der Vernunft geleitet | ||||||
| 16 | worden, solche zu suchen und sie noch immer zu vermuthen, wenn sie sich | ||||||
| 17 | gleich nicht den Sinnen offenbart. Daß absorbirende Erden noch verschiedener | ||||||
| 18 | Art (Kalk= und muriatische Erden) sind, bedurfte zur Entdeckung | ||||||
| 19 | eine zuvorkommende Regel der Vernunft, welche dem Verstande es zur | ||||||
| 20 | Aufgabe machte, die Verschiedenheit zu suchen, indem sie die Natur so | ||||||
| 21 | reichhaltig voraussetzte, sie zu vermuthen. Denn wir haben eben sowohl | ||||||
| 22 | nur unter Voraussetzung der Verschiedenheiten in der Natur Verstand, | ||||||
| 23 | als unter der Bedingung, daß ihre Objecte Gleichartigkeit an sich haben, | ||||||
| 24 | weil eben die Mannigfaltigkeit desjenigen, was unter einem Begriff zusammengefaßt | ||||||
| 25 | werden kann, den Gebrauch dieses Begriffs und die Beschäftigung | ||||||
| 26 | des Verstandes ausmacht. | ||||||
| 27 | Die Vernunft bereitet also dem Verstande sein Feld: 1. durch ein | ||||||
| 28 | Princip der Gleichartigkeit des Mannigfaltigen unter höheren Gattungen; | ||||||
| 29 | 2. durch einen Grundsatz der Varietät des Gleichartigen unter | ||||||
| 30 | niederen Arten; und um die systematische Einheit zu vollenden, fügt sie | ||||||
| 31 | 3. noch ein Gesetz der Affinität aller Begriffe hinzu, welches einen continuirlichen | ||||||
| 32 | Übergang von einer jeden Art zu jeder anderen durch stufenartiges | ||||||
| 33 | Wachsthum der Verschiedenheit gebietet. Wir können sie die Principien | ||||||
| 34 | der Homogenität, der Specification und der Continuität | ||||||
| 35 | der Formen nennen. Das letztere entspringt dadurch, daß man die zwei | ||||||
| 36 | ersteren vereinigt, nachdem man sowohl im Aufsteigen zu höheren Gattungen, | ||||||
| 37 | als im Herabsteigen zu niederen Arten den systematischen Zusammenhang | ||||||
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